Nahe an den Antworten auf die Fragen der Welt
TODESFALL / HARRY KUPFER
31/12/19 „Ich möchte alle Fragen der Welt in dieser schönen totalen Kunstform, der Oper, durchspielen, um dabei Vorschläge zu machen für das Zusammenleben der Menschen.“ Harry Kupfer, einer der erfolgreichsten Opernregisseure Deutschlands, ist tot. Er starb am 30. Dezember Alter von 84 Jahren in Berlin.
Von Heidemarie KlabachEr
„Er reiste zwischen Wien, Bayreuth und Ost-Berlin, lange, bevor die Mauer fiel: In den Jahren der Teilung konnte Harry Kupfer Grenzen überwinden und so zum stilprägenden deutsch-deutschen Opernregisseur werden", hieß es anlässlich seines achzigsten Geburtstages im August 2015 in der Südwestpresse. Er genoss schon zu DDR-Zeiten Reisefreiheit und war Träger des Nationalpreises der DDR I. Klasse wie des auch des Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern in Westdeutschland.
„Harry Kupfers Lesart der zwischen allen historischen Stühlen changierenden Gesellschaftskritik von Hofmannsthal und Strauss wurde im Regie-Olymp verankert. Falls Regisseure in den Himmel kommen“, hieß es 2015 in der dpk-Besprechung der Wiederaufnahme des Rosenkavaliers auf der so imperialen wie fragilien Bühne von Hans Schavernoch in der so handfesten wie sensiblen Regie von Harry Kupfer. Harry Kupfer, der „Ost-Regisseur“, der das Regie-Theater in den „Westen“ gebracht und dennoch – aufgrund seines tiefen Werkverständnisses und seines Respekts vor Werk und Interpreten – keine Stürme des Widerstades entfacht: „Harry Kupfer war Teil einer Generation von Regisseuren, welche die Entwicklung der Oper zum Musiktheater stark mitprägten und einer heutigen Sichtweise öffneten. Seine besondere Stärke in der psychologischen Entwicklung der Stücke lässt den Betrachter oftmals in Welten blicken, die neue Universen und neue Anstöße für oft wohlbekannte Werke öffnen.“
Die erste Arbeit Kupfers außerhalb Deutschlands war übrigens 1973 Elektra von Richard Strauss am Opernhaus Graz. In der Ära Lutz Hochstraate des Salzburger Landestheaters inszenzierte Harry Kupfer eine Zauberflöte mit Walter Berry als Sarastro.
Der gebürtige Berliner studierte an der Theaterhochschule Hans Otto in Leipzig, war von 1958 bis 1962 Oberspielleiter der Oper Stralsund, arbeitete 1962 bis 1966 in Chemnitz, und weiters in Weimar und Dresden. Ab 1981 war er Leiter der Komischen Oper Berlin und Professor an der Musikhochschule Hanns Eisler Berlin. Für seine letzte Inszenierung als Chefregisseur an der Komischen Oper Berlin, The Turn of the Screw, erhielt er 2002 den Bayerischen Theaterpreis. Harry Kupfer war Mitglied der Akademie der Künste Berlin und der Freien Akademie der Künste Hamburg, sowie der Sächsischen Akademie der Künste Dresden.
Über zweihundert Operninszenierungen hat Harry Kupfer verantwortet. In Bayreuth etwa 1978 den Holländer und 1988 denRing des Nibelungen, in Berlin einen Wagner-Zyklus mit Daniel Barenboim am Pult, bei den Salzburger Festspielen 1986 die Uraufführung von Pendereckis Die schwarze Maske, 1989 Elektra unter der musikalischen Leitung von Claudio Abbado – und zuletzt den legendären Rosenkavalier (2014 und 2015) unter der Leitung von Franz Welser-Möst.
Weitere Regiearbeit Kupfers galt Giovanna d’Arco oder Macbeth von Verdi, der Uraufführung von Reimanns Bernarda Albas Haus an der Bayerischen Staatsoper, Weills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Pendereckis Die Teufel von Loudon oder Bernsteins Westside Story an der Semperoper Dresden.
In den letzten Jahren hat Harry Kupfer Lehars Lustige Witwe an der Hamburgischen Staatsoper, Pfitzners Palestrina und Berlioz’ La damnation de Faust sowie Prokofjews Der Spieler an der Oper Frankfurt inszeniert. Am Opernhaus Zürich erarbeitete er Wagners Meistersinger. Mit Strauss’ Ariadne auf Naxos kehrte Harry Kupfer an das Theater an der Wien zurück: „Trotz seiner tiefen Verbundenheit zur Oper, wandte sich Harry Kupfer – zur damaligen Zeit keinesfalls selbstverständlich – auch dem Musical zu“, schreiben die Vereinigten Bühnen Wien in ihrem Nachruf heute Dienstag (31.12.): „So inszenierte er für die Vereinigten Bühnen Wien 1992 die Uraufführung des Erfolgsmusicals Elisabeth und brachte 1999 mit demselben Leading Team Mozart! zur Uraufführung.“ Auch für die Neuinszenierungen beider Musicals 2012 und 2015 im Raimund Theater zeichnete er verantwortlich: „Mit seinen Arbeiten revolutionierte er das Wiener Musical.“
Das Jahr 2014 beinhaltete unter anderem Les Contes d’Hoffmann in Tel Aviv, den erwähnten international viel beachteten Rosenkavalier in Salzburg und Parsifal in Tokio. Die vergangenen Spielzeiten führten Harry Kupfer mit Lady Macbeth von Mzensk an die Bayerische Staatsoper, mit Ein Leben für den Zaren an die Oper Frankfurt, mit Parsifal an die Finnische Nationaloper, mit Fidelio, Macbeth, Tristan und Isolde an die Staatsoper Berlin und mit Poro, Re dell’Indie an die Komische Oper Berlin.
„Harry Kupfers Arbeit stand in der Tradition des realistischen Musiktheaters, wie es von Walter Felsenstein entwickelt und vor allem in seinen Inszenierungen an der Komischen Oper Berlin erlebbar wurde“, schreibt Dieter Kranz in seinem 2005 im Henschel Verlag erschienen Buch Der Gegenwart auf der Spur. Der Opernregisseur Harry Kupfer. „Nicht spekulative Meta-Ebenen, sondern die akribische Entwicklung der Interpretation aus den Implikationen des Werkes zeichneten Kupfers Inszenierungen aus. Die szenischen Vorgänge, die Konflikte und der dramatische Handlungsbogen werden aus der Partitur und aus der Logik der Figurenbeziehungen beglaubigt.“
Wolfgang Wagner fasste die Qualitäten des Jahrhundert-Regisseurs in einem Satz zusammen: „Das Schöne ist beim Harry, dass alles, was er sagt, aus einer tiefen Werkkenntnis kommt. Seine Vorschläge und Lösungen verstoßen nie gegen die Musik, auch wenn man manchmal im ersten Augenblick diesen Eindruck hat.“