Ein Herrenhaus und ein Silo
HINTERGRUND / STADTARCHITEKTUR (2)
19/03/14 Hohes Verantwortungsgefühl ist nötig für den Baubestand und das künftig neu zu Bauende. In- und außerhalb des Altstadtgebiets gibt es problematische Nachverdichtungen, bei denen charaktervolle, weder von Stadt noch vom Bundesdenkmalamt geschützte Bauwerke oder wertvolle Freiräume – hinter der Debatte ums Weltkulturerbe unbemerkt – verloren gehen.
Von Norbert Mayr
Bei der aktuellen Nachnutzung der „Rauchgründe“ in Salzburg-Lehen ist das markante, um 1900 entstandene Silogebäude massivst abbruchgefährdet. Diese beeindruckende Landmark der ehemaligen Mühle ist ein Identifikationspunkt für den Süden des Stadtteils und hat das Potenzial für einen attraktiven Begegnungsort für das entstehende Quartier.
Neben dem Herrenhaus, dessen Erhaltung laut Gutachten von 1981 „unbedingt erforderlich“ ist, wertete das Gutachten der Abt. IX/1 - Amt für Stadtplanung - das gesamte Ensemble als "erhaltungswürdig" und forderte bei allfälligen Neubaumaßnahmen einen "behutsamen Umgang mit der Altsubstanz auch im Sinn der Tradition des Unternehmens". Trotzdem hat die Stadt nie eine fundierte industriearchäologische Gebäudeuntersuchung, die am Beginn jeglicher Überlegungen standardmäßig stehen müsste, gefordert.
Eine optimierte, ressourcenschonende Stadtteilreparatur mit Substanz, die den Bestand und dessen räumliche Potenziale nutzt, statt unhinterfragt taugliche Gebäude(teile) zu entsorgen, ist in Salzburg noch nicht angekommen. Anstelle der Abriss- und "Tabula rasa“-Mentalität muss ein intelligentes Weiterbauen am Bestand Einzug halten. Dies bedeutet keineswegs einen "Glassturz", sondern ein zeitgemäßes Weiterentwickeln der Bausubstanz mit Respekt.
Die Praxis ist eine andere: Neben den Versäumnissen des Bundesdenkmalamts fehlt der Stadtplanung und -politik jegliches Verständnis, ganz zu schweigen von einer vorausschauenden Strategie, wie man diese baukulturellen Ressourcen erhalten und nachnutzen kann. Bei der Riedenburghalle ging es allein um die Absiedelung der Turnvereine, damit wurde eine öffentliche Nutzung aus dem künftigen Wohngebiet eliminiert. Außerhalb der Postkarten-Idyllen der Altstadt wächst mit jedem dieser Abrisse ein anonymes, identitätslos entwurzeltes Salzburg. Nicht in dem vom Tourismus okkupierten Stadtkern, sondern „im Fleisch, im Körper der Stadt“ (Richard Sennett), wo gelebt und gearbeitet wird, verliert das „Weltkulturerbe“ seine Vielfalt, sein Gesicht.
Moderne Architektur im Dialog mit der historischen Stadt – so kann diese qualitätsvoll ins 21. Jahrhundert weitergebaut werden, Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bilden. Das muss genau so fürs Zentrum gelten wie für die Außenbezirke.
Stetig wächst seit der Ende der 1980er Jahre die Zahl bemerkenswerter, für das Prinzip der Einfügung stehende Bauwerke. Diese positive Entwicklung gilt es zu verteidigen. Die Begutachtungsgremien Sachverständigenkommission für die Altstadterhaltung (SVK) und Gestaltungsbeirat begleiteten die letzten 25 Jahre diese Öffnung für zeitgemäße Beiträge zur Baukultur.
Diese müssen einen schlüssigen und eigenständigen Charakter mit größtmöglichem Respekt vor Bausubstanz und Bauensemble verbinden, sensibel auf Ort, Umfeld und stadträumliche sowie baukulturelle Kontexte reagieren und sich ihnen einfügen, ohne sich formal anzubiedern. Das im Stadtbild präsenteste Beispiel ist der 2001 eröffnete Makartsteg des Salzburger Architekturbüros HALLE 1. Er vermittelt – schleifenförmig, ähnlich einem Salzachbogen – zwischen Makart- und Hanuschplatz und eröffnet im Gehen sich verändernde Perspektiven.
Gestalterisches Engagement ist allerdings kein Garant, dass bei der Dichte- bzw. Höhenentwicklung nicht über die Stränge geschlagen wird. Tatsächlich haben Investoren-Projekte häufig viel zu massive Kubaturen. Die Frage der Angemessenheit gilt es immer zu stellen. Salzburgs „Stadtlandschaft“ besitzt eine besondere Topographie mit Beckenlage und Stadtbergen und einem vielfältigen Sicht- und Beziehungsnetz: Die meisten Plätze weisen zwei besondere Qualitäten auf, analysierte der Stadthistoriker Gerhard Plasser: Neben den Platzwänden als Begrenzungen des Blicks eröffnen sich – als zweite Perspektive – Sichtbeziehungen zu Stadtbergen und Gebirge. Künftig soll sich im Bahnhofsviertel das sogenannte Bodner-Hochhaus (Architekten HALLE 1) massig vor die Silhouette des Untersbergs schieben. Versinnbildlicht das nahe Hotel Europa von 1956 in Salzburgs Skyline die Wiederaufbau-Euphorie, wird das Bodner-Hochhaus Symbol von Investorenwillkür (die ÖBB war die treibende Kraft) und Planungskulturlosigkeit. (Ende der Serie)
Bilder: dpk-klaba
Zum ersten Teil der Serie Ges(ch)ichtslos