Ges(ch)ichtslos
HINTERGRUND / STADTARCHITEKTUR (1)
18/03/14 Altstadtkommission (SVK) und Bundesdenkmalamt begutachten (Neu)Bauprojekte im historischen Zentrum von Salzburg akribisch. Zudem steht es unter strenger Beobachtung der Weltkulturerbe-Schützer UNESCO bzw. ICOMOS. Außerhalb des Schutzgebiets hingegen vernichtet eine breite Tabula-rasa-Mentalität historische Baukultur und Orte mit Identität, die dem ungleich radikaleren Wandel geschichtliche Verankerungen geben könnten.
Von Norbert Mayr
Der historische Kern bildet nur wenige Prozent des Stadtgebiets. Während in Salzburgs Altstadt jeder Umbau unter Beobachtung von Fachleuten wie Bevölkerung steht, steigt der Verlust an Baudenkmalen des 20. Jahrhunderts in der Stadt Salzburg dramatisch.
Ein brandaktuelles Beispiel ist die Nachnutzung der Riedenburgkaserne, die eine jahrhundertelange wehrgeschichtliche Tradition besitzt. Gerade findet der Realisierungswettbewerb für dieses letzte zentrumsnahe Areal von solch stadthistorischer Bedeutung und Größe (37.000 Quadratmeter) statt. Viele seiner Bauwerke, beispielsweise jene der 1930er Jahre im Nordwesten, bieten Potenziale für intelligentes Weiterbauen. Bereits vor Jahrzehnten haben Wissenschaftler im Auftrag der Stadt das Hauptgebäude und das Nachbarhaus an der Moosstraße, das ursprünglich den Turn- und Fechtsaal aufnahm (beide um 1890) sowie die Reithalle (1926) als erhaltenswert eingestuft. Zudem wurde die traditionsreiche Kaserne als Ensemble gewürdigt.
Bemerkenswerterweise gilt nun der Ensemble-Erhebungsbogen als unauffindbar. Bei der Erstellung des Bebauungsplans ignorierte die Stadt diese drei Erhaltungsgebote, nur die Biedermeiervilla im Nordosteck behielt ihren Schutz. Allerdings sollte für die Villa im ursprünglichen Entwurf der Wettbewerbsbedingungen der Abriss ermöglicht werden: Für den alternativen Ersatzbau ist „die qualitative Verbesserung der städtebaulichen Situation […] sowie die wirtschaftliche Notwendigkeit […] als Voraussetzung für die Beantragung der Aufhebung dieses Erhaltungsgebotes nachzuweisen.“
Der Protest der ARGE Riedenburg war erfolgreich. Die Dialogplattform mehrerer Architekturinstitutionen forderte zudem die Erhaltung der baukulturell wertvollen Riedenburghalle von 1926, die bis vor wenigen Jahren denkmalgeschützt war. Als vorhandenes Raumpotenzial und öffentlicher Ort kann sie ein zentraler Baustein für das sinnvolle Weiterentwickeln des Stadtteils sein. Der Gestaltungsbeirat stellte daraufhin diese Option den Wettbewerbsteilnehmern frei, prompt beschloss der städtische Planungsausschuss den Abriss.
Die Betreiber des Turnhallen-Abrisses haben leichtes Spiel. Nach jahrzehntelanger Verwahrlosung sowie Zu- und Umbauten erschließen sich vielen Benutzern und Passanten die baukulturellen Qualitäten nicht mehr. Welche Schätze aber eine Restaurierung heben kann, zeigt – um ein bekanntes Beispiel zu nennen – die Jugendstil-Eingangshalle des Salzburger Hauptbahnhofs.
Ziel bei der Kasernen-Nachnutzung – so die beiden Bauträger bzw. Eigentümer im Wettbewerb – sei es, „ein lebendiges, attraktives und zeitgemäßes städtisches Wohn-Quartier zu schaffen, das einen angemessenen Eingang zur Innenstadt der Weltkulturerbestadt Salzburg darstellt und sich durch seine Nutzungsmischung, seine städtebauliche Form und seine differenzierte architektonische Qualität mit der gewachsenen Struktur des Stadtteils Riedenburg vernetzt und ebenso eigenständig einen urbanen lebenswerten Raum bildet. […] Das neue Quartier soll eine Adresse bilden und Identifikationspunkt sein.“ So hatten sich die 17 teilnehmenden Architektenteams die letzten Wochen dem Paradoxon zu stellen, für die in der Dichte stetig steigenden Neubebauung einen künstlichen „Identifikationspunkt“ vorzusehen, nachdem fast alle vorhandenen baulichen Identitätsmerkmale beseitigt sein werden. (Wird fortgesetzt)