Punktesammler, Punkteverwalter
HINTERGRUND / UNIVERSITÄTEN (1)
16/11/20 Wer heute Montag (16.11.) im Ö1-Morgenjournal den Innenminister hat schwadronnieren hören über das, was an privaten Treffen in Corona-Zeiten ab morgen möglich, unerwünscht, empfohlen oder gar straftbar ist, mag sich gewundert haben ob der schwammigen Aussagen. Aber Corona ist nicht das einzige Schlachtfeld, auf dem derzeit Nebelgranaten gezündet werden.
Von Reinhard Kriechbaum
Ein anderes sind die Universitäten. Da steht eine Novellierung des Universitätsgesetzes (UG) an. Und wie so oft wird von Regierungsseite nicht kommuniziert, sondern die Vorhaben sickern durch. Offiziell ist nichts, aber demnächst soll der Vorschlag in die perlamentarische Begutachtung gehen – und geübte Beobachter wissen: Es sind nicht selten ultra-kurze Zeitspannen bis zur endgültigen Beschlussfassung...
Am Freitag (13.11.) haben sich die Rektorinnen und Rektoren der Kunstuniversitäten aufs Kolportierte hin zu Wort gemeldet. Sie seien bisher in keine Fachdiskussionen eingebunden worden. „Die uns nur indirekt zugetragenen Änderungen wären substanziell – sie verletzen die Autonomie der Universitäten und widersprechen demokratischen Prinzipien. Zugleich werden sie in einer Phase zu implementieren versucht, in der die Universitäten unter äußerstem Druck stehen, der schwierigen Corona-Situation gerecht zu werden.“ Klartext: Ein Gesetz soll durchgewinkt werden, während die Betroffenen ihren Kopf zwangsläufig woanders haben.
Auch Studentenvertreter laufen längst Sturm. Während es den Hochschulleitungen auch um das Organisations-Technische geht (es droht eine Entmachtung der Senate und damit ein Verlust der universitären Eigenständigkeit), fürchten die Studierenden vor allem eine Einschränkung der freien Studiengestaltung. Der Ministeriumsentwurf sieht nämlich vor, dass alle Studierenden jährlich mindestens 16 ECTS-Punkte zusammenbringen müssen – sonst ist's vorbei mit dem Studium. Längst passé ist ja, dass man als wackerer Magisteriums-Anwärter fleißig Vorlesungs-, Seminar- und Übungszeugnisse abheftete. Seit EU-weit alle Universitäten irgendwie direkt vergleichbar sein müssen, ist das Jagen nach Punkten entscheidend.
Um die Kirche im Dorf zu lassen: 16 ECTS-Punkte sind herzlich wenig.Um in Mindeststudienzeit zu absolvieren, braucht's deren sechzig pro Studienjahr. Wenigstens einen Viertel-Studentenjob sollte ein Inskribierter also künftig leisten. Dem steht aber entgegen: Zwei Drittel aller Studierenden (65 Prozent) arbeiten nebenher, um sich ihr Studium zu finanzieren. Das ergab im Vorjahr die Studierenden-Sozialerhebung. Und sie arbeiten durchschnittlich 20,5 Stunden pro Woche. Das ist viel und bindet Kapazitäten. Aus dem Nebenher-Arbeiten wird allzu leicht ein Nebenher-Studieren, was wieder die beruflichen Aussichten der Jungakademiker nachhaltig beschädigt.
Dazu die Rektorinnen und Rektoren der Kunstuniversitäten: „Die Möglichkeit der freien Studiengestaltung ist ein hohes Gut. Eine Gesetzesänderung müsste vor allem die Möglichkeit fördern, dass Studierende unabhängig von ihrer sozialen Situation studieren können – auch mit Familie und Erwerbsarbeit. Die angedeuteten geplanten Zwangsexmatrikulationen bewirken das Gegenteil.“ Zu befürchten sei, dass Studierende „unvorbereitet auf einen überlasteten Arbeitsmarkt gedrängt“ würden.
Das wäre fatal für Kunststudenten, aber es beträfe ganz ähnlich natürlich auch die Nicht-Absolventen aller anderen Universitäten und Fachbereiche. Wer es bloß auf die 16 ECTS-Punkte pro Jahr bringt, der würde – Pi mal Daumen – rund fünfzehn Jahre lang studieren. Ein Spätstart ins – dann akademische – Arbeitsleben mit 35 Jahren? Da wird wenig draus. Und aus Universitätsperspektive: Diese 16 ECTS-Punktesammler versitzen Studentinnen und Studenten, die sich Strebsamkeit aufgrund sozialen Herkommens leisten können, den Platz.
Die soziale Frage ist sowieso drängend: Auch die 16-Punkte-Regelung hätte zur Folge, dass sich Studierende aus begütertem Elternhaus leichter tun. Soziale Selektion würde verstärkt – aber das ist ja durchaus im Sinne zumindest der türkisen Regierungshälfte. Schließlich steht ein „leistungsbezogenes Studienrecht“ sogar im Regierungsprogramm.
Die Leitungen der Universitäten sitzen derweil in der Klemme zwischen Sympathie für ihre Schutzbefohlenen und dem ebenso notwendigen Blick auf die eigenen Finanzen. Denn die Universitäten bekommen ihr Geld nicht für die Zahl derjenigen, die in den Hörsälen sitzen, sondern für die jeweils abgelegten (positiven) Prüfungen. Mit Langzeitstudierenden haben Universitäten schon aus finanztechnischen Gründen wenig Freude. Die 16-Punkte-Regelung ist für die Universitäts-Finanzverantwortlichen nämlich ohnedies schon Realität: Die 16 Punkte sind die magische Grenze, ab der Studierende als „prüfungsaktiv“ gewertet werden – und nur „Prüfungsaktive“ zählen bei der Zuteilung der Geldmittel. Breiter Schulterschluss jedenfalls jetzt zwischen Rektoraten und Studierenden: Die Corona Zeit sei die denkbar schlechteste, um ein neues Universitätsgesetzt auf die Wege zu bringen.