Muslime oder nicht?
UNIVERSITÄT / EMPFANG DER RELIGIONEN
08/11/19 Jedes Jahr richtet man beim Empfang der Religionen an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg den Blick auf eine andere Religion. Heuer standen die Aleviten im Mittelpunkt. Rund vierzig alevitische Familien leben in Salzburg.
Den Festvortrag hielt Handan Aksünger-Kizil, Professorin für Alevitisch-Theologische Studien am Institut für Islamisch-Theologische Studien an der Universität Wien. Sie verwies auf rund 60 Jahre Migrationsgeschichte der Aleviten. „In Europa leben 1,5 bis 2 Millionen Aleviten, davon 600.000 bis 700.000 in Deutschland und 60.000 bis 80.000 in Österreich.“ Die Glaubensgemeinschaft sei bis in die späten 1980er Jahre – und teilweise noch heute – recht unbekannt gewesen. Den Grund ortet Aksünger-Kizil im Schweigegebot, mit dem die Gläubigen sozialisiert worden seien. Sie spricht von einem Selbstschutzmechanismus, der aus Furcht vor Diskriminierung und religiöser Verfolgung praktiziert wurde. „Die Menschen haben das von der Türkei mit nach Europa gebracht, sodass selbst die zweite Generation nicht direkt von ihren Eltern erfahren hat, wer sie sind.“
Die Theologin verwies darauf, dass die Mitglieder der Religionsgemeinschaft im Osmanischen Reich als „Ungläubige“ stigmatisiert waren. „Das Verschweigen der Religion und religiösen Identität war eine Art Überlebensstrategie.“ Das Anderssein im Vergleich zum sunnitischen Islam in der Herkunftsregion spiele noch heute eine besondere Rolle. „In der Türkei sind die Aleviten keine anerkannte Religionsgemeinschaft. Sie leben in einer Grauzone.“
Handan Aksünger-Kizil zählte auf, was das bedeutet: Sie haben keinen Religionsunterricht, keine theologische Ausbildung und keinerlei religiöse institutionelle Einrichtung mit akademischer Forschung. Das habe auch Auswirkungen auf die neue Situation in Österreich oder Deutschland, wo es heiße: „Organisiert euch nach dem Vorbild der Kirchen.“
Eine große Herausforderung sei die Entwicklung einer alevitischen Theologie. „Wir brauchen Felder in denen wir die historische alevitische Theologie erarbeiten: Wie ist unser Blick auf Mohammed und Ali? Wie sehen wir die zwölf Imame?“ Gefragt sei genauso die praktische Theologie, die der Frage nachgehe: Wie sieht die Ritualpraxis aus? Diese Arbeit im wissenschaftlichen Umfeld und im Dialog mit anderen Religionen und im Dialog mit Gesellschaft und Politik erfordere eine Bandbreite von Aufgaben und Personen. In der alevitischen Theologie gebe es nur Professuren in Hamburg und in Wien.
In Österreich leben rund 80.000 Alevitinnen und Aleviten. Seit 2013 sind sie in Österreich als Religionsgemeinschaft staatlich anerkannt. Ein besonderes Merkmal ist die starke Verknüpfung zwischen Religion und Kultur in ihren diversen Ausprägungen. In den Bundesländern gibt es 20 bis 25 Vereine. In Salzburg wohnen rund 40 alevitische Familien. Standorte zur Durchführung des für die Aleviten zentralen „Cem Rituals“ (Gottesdienst) befinden sich in Hallein und beim Bewohnerservice in Salzburg-Liefering.
Die Debatte, ob die alevitische Religion zu den islamischen Religionen gezählt wird oder eine eigenständige Religion bildet, bleibt kontrovers. In Österreich fand aus diesem Grund auch eine Spaltung statt zwischen jenen, die sich islamischen Religionen zugehörig fühlen und jenen, die sich als eigenständige Glaubensrichtung erachten.
Im Jahr 2011 lud das Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen erstmals zum Empfang der Religionen, er fand heuer zum 9. Mal statt. Es ist eine Kooperation der Universität Salzburg mit der Erzdiözese Salzburg, dem Afro-Asiatischen Institut Salzburg, der Diözesankommission für den interreligiösen und interkulturellen Dialog (DKID), dem Katholischen AkademikerInnenverband (KAV) und dem Institut für Religionspädagogische Bildung Salzburg der Privaten Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Edith Stein. (EDS)