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Die Kirchen schwiegen zum öffentlichen Pogrom

HINTERGRUND / JÜDISCHE KULTUSGEMEINDE (3)

08/11/19 Nicht weniger als 389 Biographien von NS-Opfern hat der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer für die Aktion „Stolpersteine“ recherchiert. In der dritten Folge rund um den letzten Salzburger Rabbiner David Samuel Margules geht es ums Geschehen unmittelbar vor und nach der Reichskristallnacht, um Flucht und Exil.

Von Gert Kerschbaumer

Wie reagierten Jüdinnen und Juden auf den nationalsozialistischen Terror in Salzburg? Flüchten oder Ausharren? Dazu bemerkt Josefa Nina Lieberman, die ältere Tochter des Rabbiners Dr. Margules, im Rückblick:

As a rabbi, Dr. Margules felt that Jewish life had to go on, and his first contact with the newly established authorities [Gestapo] was to ask permission to hold Sabbath services for his congregation. It just so happened that this coincided with the reading of the ancient threat to the survival of the jewish people.

Rabbiner Dr. Margules stellte sich den Bedrohungen und gab sein Bestes – bis zur Auslöschung seiner Gemeinde im November 1938 (im Bild die verwüstete Synagoge in der Lasserstraße). Etliche jüdische Familien mussten aber bereits vor dem Pogrom ihre Wohnungen räumen und ihren Heimatort verlassen. Andere fanden vorübergehend bei befreundeten Familien Unterschlupf. Ihre letzten Wohnadressen stehen in den „Judenlisten“ der Polizei. Dokumentiert ist überdies, dass dreißig bis fünfzig uniformierte Mitglieder der SA (Sturmabteilung der NSDAP) in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 – „Reichskristallnacht“ – sieben jüdische Geschäfte und die Synagoge schwer beschädigten.

Auf einem Foto, das der Pressefotograf Franz Krieger im Garten der verwüsteten Synagoge schoss, ist ein jüdischer Gebetsschal mit aufgestecktem Gebetsbuch zu sehen, offensichtlich ein Grabkreuz darstellend – Tod den Juden.

Josefa Nina, die Tochter des Rabbiners, erzählt, dass ihrer bedrohten Familie auch Sympathie bekundet worden sei, allerdings von anonymen Briefschreibern. Schwerwiegend war das Schweigen der christlichen Kirchen zum öffentlichen Juden-Pogrom, der viele Schaulustige anzulocken vermochte. Auch die Verhaftungen von „ca. 60 bis 70 Juden“ (laut Bericht der SS) blieben in Salzburg nicht unbemerkt, ebenso wenig die Polizeirazzien in den Wohnungen und Häusern der Opfer.

Um die Vertreibung und Beraubung der jüdischen Familien zu beschleunigen, ließ die Gestapo-Stelle Salzburg auf Befehl des SS-Sturmbannführers Karl-Heinz Rux nachweislich 26 Juden der Geburtsjahre 1883 bis 1914, zuvorderst den Rabbiner Dr. Margules und den Präsidenten der Kultusgemeinde Otto Löwy, in das KZ Dachau deportieren (registrierter Zugang am 12. November 1938).

Noch während der KZ-Haft des Rabbiners (Häftlingsnummer 23535) mussten seine Ehefrau und beiden Töchter, damals 17- und 11-jährig, ihre Wohnung räumen, ihre Koffer packen und nach Wien reisen. Ihre schöne Wohnung im Haus Josef-Mayburger-Kai 38 übernahm daraufhin ein Salzburger NSDAP-Funktionär, Gauamtsleiter Karl Feßmann.

Die im KZ Dachau malträtierten Juden wurden spätestens gegen Jahresende 1938 entlassen, Dr. Margules am 5. Dezember 1938. Die Familie erhielt dank ihrer Kontakte ein Permit zur Emigration nach England. Damit gelang es der in Wien gefährdeten Familie, den Töchtern im Februar 1939 und ihren Eltern im folgenden Monat, ihre Freiheit wiederzuerlangen.

In England galt die Familie Margules als staatenlos: eine Flüchtlingsfamilie, die während des Zweiten Weltkrieges in prekären und unsicheren Verhältnissen lebte. Sie fand aber noch während des Krieges eine Bleibe in Cambridge. Drei Jahre nach Kriegsende erhielt Dr. Margules die britische Staatsbürgerschaft. Er starb 66-jährig am 10. Februar 1951 in Cambridge, seine Ehefrau 95-jährig im Jahr 1992.

Ihre Töchter Josefa Nina und Gabriele Ella lebten in den USA. Die ältere war Psychologin, sie starb 2012. Die jüngere war Künstlerin und starb 2016. Die Psychologin Josefa Nina Lieberman hinterlässt eine informative und berührende Biografie über ihren Vater: »He came to Cambridge: Rabbi David Samuel Margules« (1982).

Es vergehen allerdings noch Jahrzehnte, ehe die Shoah-Opfer Namen und Orte im Gedächtnis der Stadt Salzburg haben. Seit August 2007 sind „Stolpersteine“ Teil des öffentlichen Raumes und des Alltags der Stadt. Die Biografien der Opfer sind hingegen im digitalen Raum, im Internet weltweit abrufbar, in deutscher und englischer Sprache. (Ende der Serie)

Der Gedenkstein für David Samuel Margules wird vor dem Haus Josef-Mayburger-Kai 38 verlegt, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt, denn das Gebäude wird gerade saniert. Die Patenschaft für diesen Stolperstein hat der Elternverein des Christian-Doppler-Gymnasiums am Franz-Josef-Kai übernommen. Biografie (deutsch und englisch) und Stein sind aber schon online – www.stolpersteine-salzburg.at
Bilder: www.stolpersteine-salzburg.at / Stadtarchiv Salzburg/Fotoarchiv Krieger (2)
Zur ersten Folge Ein Rabbiner-Posten auf vermintem Boden
Zur zweiten Folge Die Küchenfee und die Listen Salzburger Juden

 

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