Die Küchenfee und die Listen Salzburger Juden
HINTERGRUND / JÜDISCHE KULTUSGEMEINDE (2)
07/11/19 Anhand der Biografie von David Samuel Margules konnte Gert Kerschbauer, der unermüdliche Quellensammler jüdischer Zeitgeschichte in Salzburg, die bislang weitgehend unbekannte fatale Entwicklung der jüdischen Gemeinde in den 1930er Jahren erhellen.
Von Gert Kerschbaumer
Aus dem jüdischen Salzburg gingen laufend Spenden an „Keren Kajemeth“, den Jüdischen Nationalfonds, der seine Aufgabe darin sah, Jüdinnen und Juden das Leben in Eretz Israel zu ermöglichen. Zu den Spendern zählte Stefan Zweig, obschon kein Zionist. Anlässlich seines 50. Geburtstages am 28. November 1931 spendete die Zionistische Ortsgruppe einen Baum in Eretz Israel auf den Namen Stefan Zweig – eine Initiative seines Freundes Walter Schwarz.
Wir wissen dank einer bislang unbeachteten Quelle, dass Dr. Margules am 15. November 1937 eine jahrelange Forderung der Zionistischen Ortsgruppe erfüllte: die Eröffnung einer jüdischen Bibliothek in der Synagoge. Buchtitel sind leider nicht bekannt. Ihre Spender haben jedoch Namen, ausnahmslos Juden, darunter Stefan Zweig, der im Mai 1937 bei der Räumung seines verkauften Hauses in Salzburg 140 Bücher jüdischer Autoren seiner Kultusgemeinde geschenkt hatte – Bücher, die unter dem nationalsozialistischen Regime spurlos verschwanden. Die Nachwelt sollte davon nichts erfahren.
Das antisemitische Salzburg wusste allerdings seit den 1920er Jahren, wer Jude – nach rassistischer Zuschreibung – war. Namen und Adressen stehen in den „Judenlisten“, die der Salzburger Antisemitenbund, auf Boykott und Vertreibung aller Juden abzielend, seit den 1920er Jahren publizierte und bis März 1938 in „arischen“ Geschäften verbreiten ließ:
Achtung! Bei mir liegt zur Einsicht eine Judenliste von Salzburg auf! Hans Mösel Zur Küchenfee, Salzburg, Linzergasse 56 (Salzburger Volksblatt, 15. März 1938, S. 12).
Der Boykott „Kauft nicht bei Juden!“ und die Nähe der Stadt Salzburg zum nationalsozialistischen Deutschland machten der jüdischen Gemeinde schwer zu schaffen. Das zeigt sich speziell an der rückläufigen Zahl der Geburten und Trauungen. Die Daten müssen jedoch mühsam anhand der Melderegister und Matriken der heimatberechtigen Personen rekonstruiert werden, da die Geburts- und Trauungsbücher der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg unter dem NS-Regime geraubt wurden, seither als »verlustig« gelten.
Recherchen ergaben, dass in den sieben Jahrzehnten jüdischen Lebens in Salzburg 192 Kinder jüdischer Paare geboren wurden: 154 Kinder während der Monarchie und 38 in den folgenden Jahren. Am 24. September 1933 (!) wird in Salzburg die letzte Geburt eines jüdischen Kindes registriert: Ernst Grün, Sohn des Ehepaares Ilse und Dr. Franz Grün, der Rechtsanwalt, Zionist und Mitglied des Kultusrates war. Die Familie erkannte rechtzeitig die Bedrohung. Ihr gelang im März 1938 die Flucht nach Argentinien.
Die jüdische Gemeinde schrumpfte zusehends. In der achtjährigen Amtszeit des Rabbiners Dr. Margules ließen sich nur zwei Paare in der Synagoge trauen, beide Paare noch Anfang der 1930er Jahre: am 2. März 1930 Edith Eisenberg aus Salzburg und Gustav Reitmann aus Leoben, die mit ihrer in Leoben geborenen Tochter Marion nach Palästina emigrierten; am 17. September 1933 Else Schneider aus St. Johann im Pongau und Felix Preis aus Klagenfurt, deren Kinder Eva und Peter in Klagenfurt zur Welt kamen. Die Familie wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Ungebundene Jüdinnen und Juden zogen es vor, ihre seit 1933 exponierte Geburtsstadt Salzburg in der Nachbarschaft des Reichskanzlers Adolf Hitler frühzeitig zu verlassen und erst im Ausland zu heiraten: Margarethe und Gertrud Pollak in Triest; Liselotte Bäck, Martha Eisenberg, Walter Weinstein und Hugo Schwarz in Jerusalem oder Tel Aviv. Im Mai 1939 bekamen Tamara und Hugo Schwarz in Tel Aviv ihren ersten Sohn mit dem Vornamen seines Großvaters Walter Schwarz, der als Gestapo-Häftling am 1. September 1938 in München einen gewaltsamen Tod erlitt.