Von Anguilla zu Tauriska
HINTERGRUND / LEOPOLD KOHR
16/06/10 Leopold Kohr sah die grundsätzliche Gefahr, die von übermächtigen politischen und wirtschaftlichen Konstrukten ausgeht. 1951 erschien sein Hauptwerk "The Breakdown of Nations". Sein Leben war bewegt und führte ihn bis in die USA und sogar auf eine Karibik-Insel.
In Oberndorf und Salzburg habe er, so sagte Leopold Kohr (1909-1994) einmal rückblickend, ein nachhaltiges Gefühl für das menschliche Maß entwickelt – und er vermaß es auch gleich räumlich: Die Entfernung von Oberndorf nach Salzburg, 22 Kilometer, war für ihn der sinnvolle Radius einer überschaubaren Welt. Scherzhaft wird dieses räumliche Maß menschlichen Glücks heute "ein Kohr" genannt.
Aufgrund seines Widerstandes gegen die Nazis wäre Kohr beinahe der Gestapo ins Netz gegangen, floh aber rechtzeitig. In Innsbruck hatte er studiert. Als Spanien war er Kriegsberichterstatter mit „Kollegen“ wie Orwell und Hemingway.
"Rückkehr zum menschlichem Maß", "Small is beautiful" - diese Motive ziehen sich durch das wirtschaftstheoretische und philosophische Denken von Leopold Kohr. Der Kapitalismus, so seine Überzeugung, sei aus sich heraus unreformierbar, „es braucht das große Peng“. Die tatsächliche Chance zur Umsetzung seiner wirtschafts-philosophischen Ideen - sprich: den selbständigen kleinen Einheiten in einer immer globaler organisierten Welt - bot Anguilla. Die kleine Insel in der Karibik mit ihren 6.000 Einwohnern hatte sich vom britischen Kolonialreich losgesagt und probte die Unabhängigkeit. Das Mutterland und alle Experten sahen das Experiment zum Scheitern verurteilt. Doch dank Kohrs Anleitung erblühte eine autonome und autarke Wirtschaft und Gesellschaft. Bis die britischen Truppen der Bewegung den Garaus machte. Doch die Idee einer nicht auf großen Ideologien, sondern auf regionalen Ideen aufgebauten Gesellschaft bildete die Grundlage der in den folgenden Jahren erblühenden regionalistischen Bewegungen im westlichen Europa. Heute ist regionalistisches Denken ein weltweites Phänomen. Das Europa der Regionen ist lebendiger denn je.
Erst spät erlangte Kohr eine größere Breitenwirkung: Fritz Schumacher (gestorben 1977) machte 1973 mit seinem Buch "Small Is Beautiful" Kohrs Ideen populär. 1983 erhielt Kohr den Alternativen Nobelpreis. In Salzburg machten sich Leute wie Alfred Winter um Kohr verdient. Sie banden ihn wieder an seine Heimat. Kohr gründete zur Umsetzung seiner Ideen den Kulturverein Tauriska.
Heute halten Tauriska und vor allem die Leopold-Kohr-Akademie die Ideen von Leopold Kohr hoch und setzen sie praktisch um. Die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen geben Kohr Recht: Staaten zerfallen, Großbanken schlittern von einer Krise in die nächste, doch kleinen, angeblich zum Aussterben verurteilten Kulturen blühen auf. Regionalität wird nicht nur im Lebensmittelhandel immer erfolgreicher praktiziert. (Landeskorrespondenz/dpk)