In Schuhe hineinwachsen und barfuß gehen dürfen
INTERNATIONALE PÄDAGOGISCHE WERKTAGUNG
14/07/17 Auch die Salzburger Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt war Referentin bei der Internationalen Pädagogischen Werktagung. „Kinderrechte sind nur so gut, wie sie auch tatsächlich gelebt werden“, gab Holz-Dahrenstaedt zu bedenken und veranschaulichte anhand internationaler Studien, mit welchen Problemen Kinder weltweit zu kämpfen haben.
In Industriestaaten wie Österreich seien Kinder zwar meist mit anderen Herausforderungen konfrontiert, die Gefährdung für ihre Gesundheit und Entwicklung sei aber genauso ernst zu nehmen. Unsere Lebensweise hinterlasse Spuren und mache sich in der Gesellschaft durch übertriebenes Leistungsdenken, Stress, Umweltzerstörung, Leben auf Kosten anderer und Entsolidarisierung bemerkbar.
„Soziale Netze werden brüchiger und produzieren viele ‚abgehängte Kinder‘“, so Holz-Dahrenstaedt. Hier gelte es, mit vielfältigen Maßnahmen, wie zum Beispiel Armutsbekämpfung, der Stärkung von Familien oder Gewaltprävention, anzusetzen und den Kinderrechten mehr Gewicht zu verleihen. Die Jugendanwältin betonte die Juristin, dass bereits eine einzelne engagierte Lehr- oder Bezugsperson einen großen Unterschied im Leben eines Kindes ausmachen könne.
Der Begriff der Partizipation leitet sich vom lateinischen „pars capere“ ab, was soviel wie „einen Teil einfangen“ bedeutet. Die Pädagogin und Psychologin Hannelore Reicher forscht an der Universität Graz auf dem Gebiet der Inklusion und sozialen Partizipation. Sie sieht Teilhabe als einen Balanceakt zwischen Autonomie und Fremdbestimmung. Mitbestimmung habe enorme gesellschaftspolitische Relevanz und partizipative Bildungsprozesse würden Kinder und Jugendliche auf ihre Rolle als mündige, kritik- und diskursfähige Bürger vorbereiten.
Im Schulalltag stellt Hannelore Reicher einen starken Zusammenhang zwischen dem Grad an Miteinbeziehung von Kindern und Jugendlichen und ihrer emotionalen Haltung der Schule gegenüber sowie ihrer Lernmotivation fest. „Partizipation bedeutet nicht, das genuin pädagogische Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden aufzugeben“, hält Reicher Kritikern entgegen. Sie ist aber überzeugt davon, dass gelebte Teilhabe in verschiedenster Ausprägung – Schüler-Sprechtage analog zu Elternsprechtagen, Klassenforen, Lernportfolios – einen wichtigen Beitrag zur Demokratiebildung darstellen.
Die Schulpsychologin Andrea Richter ging in ihren Betrachtungen auf Kinderpflichten ein, die beinahe reflexartig eingefordert werden, sobald von Kinderrechten die Rede ist. Mit Schuleintritt haben Kinder viele neue Pflichten zu erfüllen. Im sozialen Gefüge Schule leiten sich diese aus Schul- und Hausordnungen, Verhaltensvereinbarungen und Klassenregeln ab. Erwachsene hielten das für selbstverständlich, doch Kinder müssten sich in dieser neuen Welt erst orientieren, ihren Platz und ihre Rolle finden. Hilfreich seien Regeln und Vereinbarungen, die positiv formuliert sind und dem Kind vermitteln können, welches Verhalten von ihm erwartet wird. Negativformulierungen verbieten unerwünschtes Verhalten, zeigen jedoch keine Handlungsalternativen auf.
„Ein Großteil der Pflichten, die Kinder bei Schuleintritt lernen müssen, umfasst Impulskontrolle“, so Richter: aufzuzeigen bevor man spricht, anderen nicht ins Wort zu fallen, am Platz sitzen zu bleiben und aufmerksam zuzuhören. Kinder zu Verhaltensweisen hinzuführen, die kulturell und gesellschaftlich wichtig sind, erfordere Ausdauer und Konsequenz. „Erziehung ist permanentes Dranbleiben“, ist Richter überzeugt und erinnert Erwachsene gleichzeitig an ihre Vorbildwirkung: „Kinder sind unheimlich gute Beobachter. Sie beobachten mehr als sie zuhören.“
Wie verhalten sich Kinderrechte und Kinderpflichten nun zueinander? Für Andrea Richter sind Kinderpflichten wie viele Paare von Schuhen, in die Kinder hineinwachsen müssen. Manche sind bequem, manche engen ein. Kinderrechte aber seien der Boden, auf dem die Kinder in diesen Schuhen gehen, laufen oder vielleicht sogar tanzen. Und wie aus dem Publikum ergänzt wurde: „Manchmal auch barfuß gehen dürfen...“ (KBW)