Von den Kinderrechten und vom Menschsein
INTERNATIONALE PÄDAGOGISCHE WERKTAGUNG
17/07/17 Mit den Vorträgen von Anna Tardos und Fritz Oser ging die 66. Internationale Pädagogische Werktagung zum Thema „Kinderrechte“ am Freitag zu Ende. Fachgebiet der Kinderpsychologin Anna Tardos ist die Frühpädagogik.
Sie trägt das Lebenswerk ihrer Mutter Emmi Pikler weiter, die sich als Kinderärztin und Leiterin eines Waisenhauses für eine gesunde Entwicklung von Kindern – über das Heilen von Krankheiten hinaus – engagierte. Die Kernidee von Piklers Pädagogik ist die „freie Bewegung und Entwicklung“ von Säuglingen und Kleinkindern. In ihrem eigenen Tempo, auf ihre eigene Initiative hin sollen sie sich selbstständig entwickeln können, ohne dabei von Erwachsenen zu Leistungen gedrängt zu werden, die noch nicht ihrem Entwicklungsstand entsprechen. Eine freie Erziehung gesteht Kindern auch zu, gewisse Situationen selbst einzuschätzen und mithilfe eigener Kompetenzen, ohne Hilfe von außen, zu bewältigen.
Die Herausforderung für Eltern und Betreuungspersonen sei es, so die Referentin, sich zurückzunehmen, den Kindern etwas zuzutrauen und ihnen Raum und Zeit zu geben. Ständige Erwartungen an das Kind, die es mit seinen Fähigkeiten noch nicht erfüllen kann, erzeugten Druck und seien eine latente Art der Gewalt. In der frühkindlichen Betreuung sieht die Kinderpsychologin eine Herausforderung: „Gute Betreuung im Rahmen der Krippe anzubieten ist nicht so einfach.“ Betreuerinnen seien kein Mutterersatz, gleichzeitig müsse ein qualitätsvolles, respekt- und liebevolles Zusammensein gewährleistet sein und Kinder genügend individuelle Zuwendung erfahren. Im Umgang mit eigenen und anvertrauten Kindern rät Tardos, „langsam, empfindsam und aufmerksam“ zu sein, damit echte menschliche Begegnung ermöglicht wird und vertrauensvolle Beziehungen entstehen können.
„Kinderrechte schaffen einen Mehrwert“, meint der Schweizer Pädagoge und Psychologe Fritz Oser, „greifen oft aber auch zu kurz. Rechte ohne eine Pädagogik des Menschseins sind leer und wertlos.“ Den einklagbaren Rechten der UN-Kinderrechtskonvention stellt er die Korczak’schen Kinderrechte gegenüber, die eine humane Erziehungslehre darstellen und darauf abzielen, Nähe zu schaffen und den Menschen Würde zu geben: das Recht ernst genommen zu werden, zu versagen, auf Geheimnisse, auf ein Tagebuch…
Vor dem Hintergrund der bestehenden Rechte skizzierte Oser einen Entwurf neuer Kinderrechte, die ein „pädagogisches Schutzschild“ vor den Gefahren unserer Zeit darstellen. Dabei dürfe man keinem Romantizismus erliegen, mahnt Oser ein. „Kinderrechte müssen immer auf dem Hintergrund der Schulrealität mit all ihren Schwierigkeiten betrachtet werden.“ Ein Kernstück seines Entwurfes ist das „stop and change“-Modell: Erwachsene schreiten bei Fehlverhalten von Kindern ein und konfrontieren sie im Dialog mit moralischen Normen, um ihnen dann die Freiheit zu lassen, ihr Verhalten eigenständig an diese Normen anzupassen. Osers pädagogische Kinderrechte orientieren sich an den Herausforderungen unserer Zeit und adressieren neben moralischen Normen auch digitale Medien, Mobbing oder Suchtverhalten. (KBW)