Stubenhocken
STICH-WORT
30/10/19 So misstrauisch man sein muss gegenüber Verklärungen der Sitten und Gebräuche in agrarischen Kulturen: Gemütliches Stubenhocken ist beinah zwangsläufig angesagt, wenn die Stunden mit Sonnenlicht dramatisch abnehmen. Das Freilichtmuseum schließt rund um Allerheiligen normalerweise seine Saison ab.
Von Reinhard Kriechbaum
Wenn heuer am letzten Öffnungstag, dem 3. November, in Großgmain Stubenhocken angesagt ist, sollten es die Besucher aber trotzdem dabei nicht bewenden lassen: Erstens wird ja in verschiedenen Häusern gehockt – sprich: die Gäste lauschen Vorgelesenem, Vorgespieltem und sogar Vorgekochtem. Ein paar solcher Termine kann man beim letzten Besuch im Freilichtmuseum locker schaffen, auch mit Wegstrecken dazwischen.
Zweitens könnte man auf 14 Uhr zum so genannten Zischkhäusl marschieren. Dieses Gebäude aus der Gemeinde Perwang war das erste, das vor genau vierzig Jahren im Freilichtmuseum wieder errichtete wurde. Jedenfalls fand die Firtsfeier Mitte November 1979 statt. Mit einer kleinen Feier erinnert man zugleich an den Museumsgründer Kurt Conrad, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre. Der jetzige Direktor Michael Weese wird kurz über die Aufgabe eines Freilichtmuseums in der heutigen Zeit referieren. Anschließend wird Monika Brunner-Gaurek Pläne und Ideen schildern, die einst zur Errichtung eines Freilichtmuseums in Salzburg führten. Im Gespräch mit der ehemaligen Eigentümerin des Zischkhäusls sowie ehemaligen Museumsmitarbeitern erinnert man an die erste Hausübertragung. Die Musik zum kleinen fest steuert die Trachtenmusikkapelle Perwang am Grabensee bei.
Die Stubenhocker finden an dem Tag in der Eingangshalle des Museums einen Übersichtsplan. Da bietet sich beispielsweise ein offenes Singen mit Roswitha Meikl (Salzburger Volksliedwerk) an, die Eichetwalder Stubenmusi zupft die Saiten, der Literat Bodo Hell liest (zu Alphorn-Tönen von Fritz Moßhammer) und sogar ein Architekt (Philip Lutz, Büro Ludescher + Lutz) ist zugegen und spricht über Kulturlandschaften. Klar, das man Gedichte und Geschichten in Mundart zu hören bekommt. Hannelore Wernitznig steuert heitere Erinnerungen aus alten Zeiten bei.
Roland Essl macht „Holzknechtmuas“. Das soll ein Stichwort sein: Nicht mehr weit ist das Martinsfest am 11. November. Da wird das Martinigansl serviert, volkskundlich betrachtet gibt es auch ganz andere Bräuche als Laternenumzüge in den Kindergärten. Der Martinstag war ja einst ein wichtiger Zinstag, jener Termin also, an dem Bauern der Grundherrschaft ihren Obulus ablieferten. Auch das bäuerliche Gesinde erhielt an dem Tag seinen (Jahres-)Lohn für die Arbeit. Die „Alperer“, also jene Leute, die im Sommer auf den Almen das Vieh hüteten und andere Almarbeit verrichteten, wurden ebenso zu St. Martin entlohnt. Das „Kasmandlfahren“ im Lungau – jetzt ein Kinderbrauch am Vorabend des Martinstages – war einst die Aufwartung der „Alperer“ (in Verkleidung) bei ihren Auftraggebern. In verschiedenen Gegenden haben diese Figuren unterschiedliche Namen: „Almraunzl“ sagt man im mittleren Ennstal. „Alperer“ heißen die Senner und Kaser im oberen Pinzgau, zwischen Krimml und Bramberg. Da dort die männliche Schuljugend bei ihrem Umgang auf Verkleidung verzichtet und die trachtig gewandeten Buben und Burschen mit Buckelkraxe, Wanderstecken und umgehängten Kuhglocken ausrücken, kommt die ursprüngliche Intention des Brauches besser heraus als bei den putzigen Lungauer Kasmandln.
Nebenbei bemerkt: Die Sache mit den Martinigänsen hat auch nur der Legende nach damit zu tun, dass der heilige Martin nicht Bischof werden wollte und, als es so weit war, sich ausgerechnet in einem Gänsestall versteckt und durch Geschnatter aufgeflogen sein soll (so wurde er doch zum kirchlichen Karrieristen). In Wirklichkeit wurde in den ersten Wochen des Novembers auf den Bauernhöfen sondiert, welche Tiere man durch den Winter füttern sollte und welche besser dem Schlachtmesser ausgeliefert würden. Die fetten und fleischreichen Gänse mit dem wärmenden Daunen-Federkleid, das sich auch in den Winter-Tuchenten gut machte, hatten ganz schlechte Karten, was das Überleben der ersten November-Tage anlangte.