Hühnerfutter. Kunstzeitschrift. Music Hall
MUSEUM DER MODERNE / AFFICHOMANIE
11/03/16 Benetton war mal für Plakat-Skandale gut. Von Palmers sorgten einst vielfarbige Damen-Hinteransichten für Aufruhr. Heutzutage gibt es Zoff, wenn Plakate allzu offen sexistisch ausfallen. Den ersten „Plakat-Skandal“ entfachte um die Jahrhundertwende eine entblößte weibliche Brust. Das Sujet warb für einen Roman, der Mädchenhandel und Prostitution anklagte. Ein zu scharf geschliffener Spiegel für die Gesellschaft? Affichiert wurde die Dame jedenfalls zensiert im Spitzenmieder.
Von Heidemarie Klabacher
In der Ausstellung „Affichomanie“ hängt die unzensierte Fassung. Das Skandalon liegt und lag wohl schon damals weniger in der entblößten Brust, als in der entblößenden Darstellung der Machtverhältnisse zwischen einem fetten selbstgefälligen Zuhälter, der ersten gefällig sich präsentierenden und der ihre Verzweiflung hinausschreienden zweiten Prostituierten. Die weinend auf das Sofa im Vordergrund hingesunkene Dame sei, so ist im Katalog dann nachzulesen, in einer breiteren Version des Plakates als erschütterte Leserin des Romans zu erkennen. Eine Sozialgeschichte von Macht und Missbrauch in einem Bild. Bild? Kunstwerk? Plakat?
„Ein Plakat ist grundsätzlich einmal keine Kunst, aber es kann Kunst sein. Wenn es von einem Künstler gemacht ist“, sagte Sabine Breitwieser, Direktorin am Museum der Moderne Salzburg, heute Freitag (11.3.) bei der Pressepräsentation von „Affichomanie“.
Das Museum der Moderne Mönchsberg präsentiert in dieser - an Farben und Formen, abstrakten Designs und konkreten Darstellungen unterschiedlichster Lebenswelten überreichen - Ausstellung die Pioniere und wichtigsten Vertreter der Plakatkunst um 1900.
120 der gezeigten Plakate stammen aus der Sammlung des Sprengel Museums Hannover, das einen unschätzbaren Gesamtbestand von 650 Plakaten hütet. Gezeigt werden aber auch Lithografien aus eigenen Beständen des MdM, zu denen hochrangige Werke von Künstlern wie Henri de Toulouse-Lautrec, Oskar Kokoschka und Egon Schiele zählen.
Insgesamt sind Werke von sechzig Künstlern zu sehen, darunter Jules Chéret, Théophile-Alexandre Steinlen, Alfons Mucha, Franz Marc, Gustav Klimt oder Franz von Stuck. „Neben Schlüsselwerken der Belle Époque wie dem Divan Japonais von 1892/93 von Henri de Toulouse-Lautrec oder Théophile-Alexandre Steinlens Tournée du Chat Noir von 1896 bilden expressionistische Plakate aus den Beständen des Museum der Moderne Salzburg einen Höhepunkt der Ausstellung, wie Oskar Kokoschkas berühmtes Selbstbildnis für die Zeitschrift Sturm oder Egon Schieles Plakat Secession. 49. Ausstellung von 1918“, sagte Sabine Breitwieser.
Zu sehen sind Entwurfszeichnungen und Farblithografien. Und vor allem natürlich die großformatigen Plakate. „Mit wiederentdeckten Plakatentwürfen aus den eigenen Beständen wird ein wichtiges Stück Sammlungsgeschichte unseres Hauses erschlossen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“, betonte Beatrice von Bormann, Sammlungsleiterin am MdM.
Plakate kamen erst mit der Industrialisierung auf: „Es wurde zuvor in der Geschichte nie auf Masse produziert, so dass man Produkte bewerben musste. Daher gab es auch den Beruf des Werbegrafikers nicht. Künstler haben die ersten Plakate gestaltet.“ Die Trennung zwischen Kunst und Gebrauchsgrafik war – und ist gelegentlich – bis heute fließend.
Wir „Heutigen“, die wir von oft billigster Reklame in Wort und Bild und Ton zugemüllt werden, wir stehen jedenfalls andächtig und staunend vor den üppig-prächtigen oder abstrakt-stilisierten Arbeiten hochrangigster Künstler. Tatsächlich wurde das Plakat auch „damals“ um 1900 schon bald als neue Kunstform wahrgenommen und geschätzt. Nur deswegen hat sich das Gebrauchsgut „Plakat“ überhaupt in Sammlungen erhalten.
Zuerst galten die Plakate „eher Menschen und Veranstaltungen, dann immer mehr den verschiedensten Produkten“. Ein überaus eindrückliches Plakat gilt etwa der AEG Nitralampe „Die Entstehung zahlreicher Plakatkunst-Vereine zeugte von der ‚Affichomanie’, dem Plakatwahn, der zu dieser Zeit um sich griff. Künstler entwarfen Plakate als Werbung für Produkte jeglicher Art: von Kaffee, Tabak und Automobilen über Ausstellungen bis hin zu Zeitschriften und Veranstaltungen in Kabaretts. Essenziell für die werbliche Wirksamkeit der Plakate auf der Straße waren ihre Fernwirkung und schnelle Erfassbarkeit.“
Der wohl bekannteste Meister dieser Kunst war Henri de Toulouse-Lautrec, der – inspiriert von japanischen Holzschnitten sowie von Künstlern wie Edgar Degas und Édouard Manet – seine Motive mit einfachen Linien, Abschneidungen und ungewohnten Perspektiven wirksam gestaltete.
„Das Plakat hatte in den 1860er-Jahren in Frankreich erste Erfolge gefeiert. Diese Entwicklung erreichte etwa dreißig Jahre später ihren Höhepunkt“, so die Kuratorin. Während das französische Plakat für seine Freizügigkeit bekannt war, griffen Künstler wie Alfons Mucha und Gustav Klimt auf antike Vorbilder zurück, um ihre Werbeplakate zu gestalten: „Mit der Entstehung von Zeitschriften wie Pan, Jugend und Simplicissimus entwickelten sich auch in der Plakatkunst neue Stilformen – vom ornamentalen Jugendstil bis hin zu Satire und Karikatur.“
Vor Gustav Klimts Titelblatt für „Ver Sacrum“ aus 1898 steht man in Andacht. Dass seinerzeit die Plakate eines Alfons Mucha von den Plakatwänden geklaut wurden, kann man verstehen.