Edelstift und Radiernadel
RESIDENZGALERIE / GEDANKENSTRICHE
22/11/12 Manchmal – ja manchmal ist man auch als vermeintlicher Salzburg-Kenner verblüfft. Dass die Universitätsbibliothek nicht nur über eine ansehnliche Zahl, sondern auch über qualitativ erstaunlich hochstehende Bestände an Handzeichnungen und Druckgraphiken verfügt, ist kaum publik.
Von Reinhard Kriechbaum
Aus fürsterzbischöflichen Zeiten stammen diese Bestände, manche gehen sogar auf Wolf Dietrich zurück. Der größere Teil freilich auf den angeblich so ganz und gar nicht kunstsinnigen Erzbischof Colloredo. In seinem Gedenkjahr (er ist vor 200 Jahren gestorben) ist schon mehrmals gezeigt worden, dass das nicht stimmt. Viele Blätter, die nun ausgestellt sind, hat er deshalb anschaffen lassen, weil er sie zum Abzeichnen für eine „Malerakademie“ bereit wissen wollte. In sechs Klebealben aus dem Jahr 1772 gab es nicht weniger als 866 Handzeichnungen und 405 Druckgraphiken. Blätter von Paolo Veronese und vor allem ein sattes Konvolut von Jacopo Palma il Giovane lassen Kunsthuistoriker-Herzen höher schlagen.
Graphilken hat man früher mit Vorliebe in Klebebänden gesammelt. Mindestens fünfzehn gab es in der fürsterzbischöflichen Bibliothek. Militär- und Ziviarchitektur, Landkarten, Kunstwerke des Altertums, Perspektivenlehre – das waren beispielsweise Themen solcher Klebealben. In den 1930er Jahren löste man diese Alben auf, seither sind die Blätter jeweils in Passepartouts verwahrt. Glücklicherweise sind die alten Bestände am Ort erhalten geblieben.
Für die Schau in der Residenzgalerie und eine Buchveröffentlichung im Verlag Müry Salzmann sind rund 130 dieser Blätter restauriert worden, was sich die Universität 23.000 Euro hat kosten lassen. Die Vielfalt der Motive zeigt, wie heterogen die Bestände sind – genau das macht letztlich den Reiz aus. Gleich vier Blätter gelten der legendären Seeschlacht von Lepanto gegen die Türken. Sehr ordentlich, wie sich Renaissance-Künstler die Schiffs-Auffahrt zur Schlacht vorstellten. Damals war das strategische System von Interesse, nicht das Schlachtgetümmel.
Manche Graphik ersetzte damals die Zeitung: Da sieht man die Eroberung der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan (Mexico-City) durch die Europäer. Eine Prag-Vedute wurde im Pestjahr 1581 gezeichnet, man sieht am unteren Bildrand der Stadtansicht den Begräbniszug für Pest-Tote. Zahlreich sind die Ansichten von Venedig und natürlich von Rom. Möglich, dass Colloredo die Venedig-Stiche von seiner im Hinterland beheimateten Familie geerbt hat. Tizians Holzschnittserie „Il Trionfo di Cristo“, fast drei Meter lang, hat sich gleich zwei Mal erhalten, als Federzeichnung und als Holzschnitt-Kopie.
Wer über Jacopo Palma il Giovane (1548-1628) forscht, für den führt kein Weg an Salzburg vorbei. Wolf Dietrich interessierte sich vor allem für Städteansichten, im Colloredo-Convolut gibt es Kopien nach Raffael und dergleichen. Man stößt auf Zeichnungen vom Torso Belvedere und vom Herkules Farnese. Auf Kopien von Carracci und Guercino.