Die Philosophie im Koran-Marterl
GALERIE ALTNÖDER / JOSEF KARL RÄDLER
13/08/13 Wenn einem die Leute auf den figurenreichen Bildern von Josef Karl Rädler nicht ganz dicht vorkommen, liegt man so falsch nicht: Es sind Bewohner einer „Irrenanstalt“ (wie man damals, im 19. und frühen 20. Jahrhundert, noch sagte).
Von Reinhard Kriechbaum
Josef Karl Rädler (1844-1917) saß selbst dort ein. Nicht ungern, angeblich konnte er doch hier – in der „Kaiser Franz Josef Landes- Heil– und Pflegeanstalt” in Mauer-Öhling – seinen Hobbys frönen: dem Malen und dem Philosophieren. Pingelig hat er gearbeitet, jedes Zeichenblatt mit Zierleisten umgeben. Sie lassen manchmal an die Dekorationen von Koranausgaben denken. Die Bildmotive selbst fand Rädler in der Anstalt, in den Aufenthaltsräumen, im Garten und bei Ausflügen, sie erinnern nicht selten an Bauernmalerei. An Marterln könnte man solche Malerei finden. Und außerdem ist alles mit Texten vollgeschrieben.
Die Anstalt in Mauer-Öhling wurde offen, für die damalige Zeit bemerkenswert fortschrittlich geführt. Wer weiß: Wäre der Begriff „Art brut“ damals schon geprägt und die Kreativität von Geisteskranken schon erkannt gewesen – vielleicht wäre hier das erste Gugging entstanden...
Nach Rädlers Tod 1917 wanderten seine Blätter auf den Dachboden der Anstalt, fünfzig Jahre später im Müll. Aber 850 Blätter wurden damals gerettet. Rund die Hälfte befindet sich im Niederösterreichischen Landesmuseum in St. Pölten. Der Galerist Ferdinand Altnöder, einer der Spezialisten für Art brut in Österreich, widmet sich auch dem Werk von Rädler. Ein Dachbodenfund machte diese Sommerausstellung mit rund fünfzig Blättern möglich. Bekannt sind rund 850 Arbeiten.
Eigentlich war Rädler Porzellanmaler: Er gründete mit einem Kompagnon 1872 das „Artistische Atelier für Porzellanmalerei Rädler & Pilz”, eines der damals bedeutendsten Unternehmen mit Niederlassungen in Wien, London, Paris, Frankfurt. Seine Firma nahm an Weltausstellungen in Wien (1873) und Paris (1878) teil und exportierte nach Übersee.
1893 kam Rädler auf Betreiben seiner Familie in Anstaltspflege. Einige Jahre später begann er dort zu malen, mit Aquarellfarben und Tempera, farbigen Tinten und Tuschen. „Der überaus feine, detailreiche Stil im frühen Werk verliert sich mit den Jahren, er wird rauer und nähert sich dem, was naive Malerei genannt wird“, erklärt Ferdinand Altnöder. Die Blätter sind vorne und hinten bemalt.
Als „Hofmaler von Österreich, Siam und Italien” bezeichnete sich Rädler, aber auch als „Poet”, als „lachender Philosoph” und „Menschheitsapostel”. Er hatte Zeit zum Nachdenken, war ein früher „Grüner“, wenn man so will, ein Pazifist. Seine Umgebung nervte er gewaltig, offenbar hat er seine Ergüsse nicht nur dicht an dicht auf die Leerstellen der Bilder gemalt. Auf der Homepage der Galerie Altnöder kann man manch Transkribiertes nachlesen. Es ist mindestens so krud und originell wie die Malereien – und nicht selten offenbart sich Hellhörigkeit: „Es ist für ganz Europa eine Schande doch, Daß Mensch gegen Mensch muß Krieg führen... Im erwürgen und morden, was ist da zu profitieren? – Menschen und Kulturen vernichten!!! – Wo die Menschheit will leben in Frieden! Macht aus Mordwaffen Blitzableiter und Pflugschaaren...”. Das schrieb Rädler 1914, nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Man sollte die Bilder auch aus medizinhistorischem Blickwinkel anschauen, denn Rädlers Malereien (und Texte) erzählen viel vom Anstaltsleben um die Jahrhundertwende. „Da gibt es Zeichnungen aus dem Schlafsaal, früh morgens um fünf festgehalten, aus dem Speisesaal, vom Baden, von der Landarbeit, von Werkstätten, vom Spaziergang und von Festen. Er malt Gruppenbilder von Frauen und Kindern in schönen Trachten, von Lesenden und Rauchenden, von Blinden, von Besucherinnen und Besuchern“, weiß Altnöder.
Ein Randgebiet für Sammler – aber ein gefragtes. Ganz viel sei schon verkauft, freut sich Ferdinand Altnöder, und so hängen schon wieder ganz neue Blätter an den Wänden der Galerie – übrigens in Nachbarschaft zu einigem anregend Qualitätvollem von Kubin und ein paar Arbeiten von Gugging-Künstlern.