Studenten, die sich neu erfinden
REPORTAGE / INTERNATIONALE SOMMERAKADEMIE FÜR BILDENDE KUNST
31/07/12 Hier versucht einer aus Berlin mit dem Zeichenstift „die fehlerhafte Stadt der Zukunft“ einzufangen. Am Tisch daneben hat eine junge Künstlerin aus floralen Fundstücken eine „Organic Map of Hallein“ zusammengestellt. Und Tatjana, eine junge Russin, hat über dem großen Salzhaufen in der Saline aus Plastikbahnen eine Raumstruktur geschaffen.
Von Reinhard Kriechbaum
Nach zweieinhalb Kurswochen ist es, wie jedes Jahr, ergiebig, durch die Klassenräume der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst zu streifen. Da ist ja schon etwas Greifbares entstanden, man bereitet vor, was man beim Tag der offenen Tür – am Freitag (3.8.) ist es so weit – herzeigen wird.
„Jeder Künstler empfindet Hunger nach Raum“, sagt Tatjana, und das ist insofern verblüffend, als sie nicht eine Skulpturenklasse besucht, sondern in der Klasase für Zeichnung von Christoph Schäfer eingeschrieben ist. Aber so ist das eben: „Ich bin hergekommen in der Erwartung zu malen, aber Milena hat uns ermuntert, aus dem herkömmlichen Rahmen hinauszubewegen“, sagt eine Kursteilnehmerin aus Deutschland, die im Hauptberuf innenarchitektin ist.
Die Studentinnen und Studenten lassen sich nur zu gerne herausholen aus ihrem eigenen Fahrwasser. Und so wie in der Malereiklasse von Milena Dragicevic die Arbeiten mancher Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinausgewachsen sind in den Raum, so bleiben auch viele Arbeiten in der Klasse von Christoph Schäfer nicht Flachware auf Papier. Text scheint in vielen Klassen, in vielen Medien als Ausgangspunkt und als konkretes „Buchstaben-Material“ eine große Rolle zu spielen.
22 Klassen gibt es heuer insgesamt auf der Sommerakademie, die auf ihre Halbzeit zusteuert. In Hallein ist man ausgebucht – sieben Klassen finden hier statt, so viele waren es noch nie. Die Saline hat eben etwas, auratisch, aber auch von den Raum-Möglichkeiten her.
Die Kursteilnehmer werden „jünger und professioneller“, bestätigt Sommerakademie-Leiterin Hildegund Amanshauser. Wie gehen Leute unterschiedlicher Herkunft, verschiedenen Alters und anders gelagerter Erwartungen und Ansprüche miteinander um? „Da kriegt man eine Dynamik hinein, die Leute reden alle miteinander“, sagt Christoph Schäfer, für den genau dies eigentlich kein Thema ist.
Die südafrikanische Fotografin Jo Ratcliffe beginnt zu schwärmen vom „interkulturellen Austausch“, der mit gemeinsamem Kochen beginnt. Es habe sich eine Community herausgebildet, nicht nur in den Kursräumen, sondern auch im Kolpinghaus, wo sie und viele andere Quartier genommen haben. „Es ist fantastisch, wie das Miteinander-Reden befruchtet.“
Querfeldein gehen die Medien: Sogar in der Schmuckklasse von Lin Cheung werden manche Dinge auf dem Laptop entworfen, in der Fotografieklasse von Jo Ratcliffe sind Computer und Drucker natürlich nicht wegzudenken, auch nicht in der Klasse von Shaina Anand und Ashok Sukumaran, die ihren Studierenden einen „Streifzug durch die Medienkunst“ anbieten. Aber Malfarben und Ölkreiden finden sich auch hier auf einem der Tische. Eine junge Iranerin experimentiert mit dem Medium Facebook.
Die Malklassen seien besonders schnell ausgebucht gewesen, erzählt Hildeund Amanshauser, und auch die beiden Kuratoren-Klassen seien stark nachgefragt. Eine Klasse wie jene der Kubanerin Tanja Bruguera, wo es ums Politische geht, zieht logischerweise weniger, „aber es sind dort tolle Studierende“.
Sehr pragmatisch gibt Hildegund Amanshauser sich: „Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen, die Atmosphäre muss stimmen.“ Ganz wesentlich: „Zu uns kommen Studierende, die sich selbst hinterfragen wollen.“ Rund 310 Leute nehmen an der Sommerakademie (die nächstes Jahr ihr 60-Jahre-Jubiläum feiert) teil. „In meinem ersten Jahr als Leiterin, 2009, hatten wir neunzig Stipendien-Bewerbungen, jetzt sind es 480“, berichtet Hildegund Amanshauser. 18 Stipendiaten kommen „aus besonders benachteiligten Ländern Osteuropas“.
Die kleinste Klasse derzeit auf der Pernerinsel ist jene für Schmuck. Lin Cheun leitet sie. Auch da eine verblüffende Vielfalt an Materialien und Zugängen. Das Motto ihres Kurses „The sociasl life of jewellerie“ signalisiert, dass es nicht um L’art pur l’art geht, sondern um Kunst, die sich im gesellschaftlichen Zusammenhang messen lassen und bewähren muss – und das ist durchaus symptomatisch für das Angebot auf der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst.