Ein chinesischer Strohhut aus Holz
ARCHITEKTURHAUS / VISIONÄRE + ALLTAGSHELDEN
01/03/19 Was verbindet Bauwerke wie das Kolosseum in Rom, das Nationalstadion in Warschau oder das London Eye? Es sind Schöpfungen der Ingenieurskunst, die Grenzen möglicher Dimensionen ausloten. Über das Visionäre und Kreative in der Baukunst erfährt man in einer zweigeteilten dokumentarischen Ausstellung.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Architekturhaus der Initiative Architektur in der Riedenburg ist der eine Ort der Schau Visionäre + Alltagshelden, der zweite Teil ist in der Kammer der ZiviltechnikerInnen OÖ und SBG (Gebirgsjägerplatz 10) zu sehen. Es geht um jene Anforderungen, die neue technische Entwicklungen, an Architekten und Bautechniker stellen. Oder auch um jene Lösungen für den Alltag, die durch gesellschaftlichen Wandel herausgefordert werden. Ein Großereignis wie die Fußball-EM 2012 in Warschau war der Anlass, dort das Narodowy-Stadion zu errichten: „Eine Mehrzweckarena für 55.000 Besucher, die sich wie ein landestypisch geflochtener Weidenkorb in den Nationalfarben Rot und Weiß präsentiert“, hieß es in einer Architekturkritik.
Die Sache mit dem geflochtenen Weidekorb ist offenbar gar nicht so abwegig. Als es darum ging, im französischen Metz eine Dependance des Centre Pompidou zu errichten, hat sich der Architekt für Holz entschieden. Und um die Dimensionen zu meistern, hat er ebenfalls bei der Flechtkunst, in diesem Fall jener im Fernen Osten, eine Anleihe genommen. Das hat dem Bauwerk den Beinamen „Hölzerner chinesischer Strohhut“ eingetragen, womit die Kunstruktion recht anschaulich beschrieben ist.
Architekten werken nicht im luftleeren Raum, wenn es gilt, innovative Lösungen zu finden. Als Pier Luigi Nervi 1960 in Rom die „Palazetto dello Sport“ aus Stahlbeton errichtete, setzte er auf eine Art Kreuzrippengewölbe, wie es Kirchenbaumeister in der Gotik nicht anders einsetzten. Ist Stahlbeton eigentlich das Allheilmittel, um Höhengrenzen und Spannweiten zu sprengen? Nicht unbedingt. Da entdeckt man auf einer der Schautafeln den Slogan „Holz im Höhenrausch“. Zur Zeit werden Holz und Hochhaus nämlich stark diskutiert. In vier Jahren soll in Stockholm ein Holzgebäude mit 34 Stockwerken fertig sein. Das wird dann – wohl auch nur für kurze Zeit – das höchste überhaupt aus Holz sein. Warum aber sich in Holz bescheiden, wenn man – Bari Khalifa hat es in Dubai vorgezeigt – mit anderem Material 829,8 Meter erreichen kann, immerhin das Doppelte des Empire State Building? Im Fall eines Brandes bleibe verkohltes Holz angeblich deutlich länger stehen als Stahl, der in der Hitze einknickt. Das erklären jene Leute, die sich in der Baustoffphysik auskennen.
Weil sich die Branche gar wunderbar darauf versteht, die eigenen Produkte effektvoll ins Bild zu rücken, gibt es genug Spektakuläres anzuschauen. Es wird einem bewusst, wie technische Hochleistung und Bautechnik ineinandergreifen – und wie auf diese Weise auch neue ästhetische Maßstäbe erschlossen werden. Da geht es um Brücken- und Tunnelbau oder um die Bewältigung des Verkehrs. Die „Spaghetti Junction“ des Owen Williams (1860-1969) im Norden von Birmingham ist eine schon historisch gewordene Lösung.
Und erst die Wasser- und Energie-Technik: „London Barrier“ ist eine Ehrfurcht einflößende Schleusentoranlage in der Themse, um meerseitig bedingtes Hochwasser in der britischen Metropole zu verhindern. Weiter draußen am Meer, aber immer noch quasi vor London, findet sich der größte schwimmende Windpark: London Array besteht aus 175 Windrädern mit jeweils 120 Metern Durchmesser. Sie liefern nachhaltige Energie für immerhin eine halbe Million Haushalte. Um sich einen solchen Rad-Durchmesser konkret vorzustellen: Das London Eye, das riesigste aller Riesenräder (gegenüber Westmninster an der Themse), ist nur wenig größer, es hat 135 Meter Durchmesser.
Viel Zeit braucht man für die Schau, denn all die Superlative wollen auf Tafeln nicht nur angeschaut, sondern auch gelesen sein. Und zu den Bautechnik-Wundern der Neuzeit gehören natürlich auch die Porträts der Wegbereiter und eben der Visionäre, die all das umgesetzt haben. Ein Streiflicht gilt dabei auch dem Beitrag Salzburger Ingenieure zum Tunnelbau.