Monster-Regenwurm und Schlangen-Zahn
HAUS DER NATUR / HISTORISCHE LEHRTAFELN
12/03/19 Wie Wie die Viper ihr Maul aufreißt und ihren Giftzahn zeigt... Heute knallen Vortragende ihrem Publikum grelle Beamer-Projektionen vor Augen. Früher – und manchmal war „früher“ wirklich manches besser – wurden Lehrtafeln entrollt, die mit künstlerischen Mitteln gestaltet wurden und selber Kunstwerke waren.
Von Heidemarie Klabacher
Vom Titel sollte man sich nicht abschrecken lassen: Meisterwerke der Naturgeschichte: Historische Lehrtafeln um 1900 ist der ein wenig steifleinene Titel der anregend modern gestalteten aktuellen Sonderausstellung im Haus der Natur. Es ist eine feine, gar nicht so kleine Präsentation, die Schüler von heute und von gestern auf jeweils gleich mehreren Ebenen anspricht.
Kinder faszinieren die alten Schulbänke, in die sie sich mit Vergnügen hineinquetschen, weil sie diese Schulbank an einem schulfreien Tag gar nicht drücken müssten. Das Loch da war wirklich für das Tintenfass? Und nein: Es sind keine vergammelten Jausen-Äpfel und Papier-Knödel und Bleistift-Stummel im Bankfach. Soviel Realismus haben sich die Ausstellungsleute doch nicht getraut. Erwachsene erinnern sich staunend daran, wie ihnen anhand solcher Lehrtafeln einst das Innenleben von Frosch und Stubenfliege erklärt wurde (warum weiß man ja bis heute nicht). Oder dass sie – betraut mit einem Ehrenamt – solche eingerollten und mit Lederband zusammengehaltenen Tafeln vor der Biologie-Stunde aus dem naturwissenschaftlichen Lehrmittel-Kabinett holen durften.
Die Ausstellung erzählt unaufdringlich knapp aus der Schulgeschichte wie der Geschichte des Faches Biologie: „Im ausgehenden 19. Jahrhundert befand sich der Biologie-Unterricht im Wandel. In Folge der Verbreitung erster ökologischer Theorien und der Evolutionstheorie von Charles Darwin reichte eine rein beschreibende Artenkenntnis nicht mehr aus... Die Biologie als Lebenswissenschaft stand im Zentrum eines anschaulichen Unterrichts.“
Den Weg zu dieser Anschaulichkeit im Unterricht öffnete ein gebürtiger Salzburger: „Paul Pfurtscheller schuf naturwissenschaftliche Schultafeln, die durch ihre künstlerische und wissenschaftliche Qualität herausragend und in didaktischer Hinsicht bahnbrechend waren.“ Pfurtscheller besuchte in den 1860er-Jahren das k. k. Staatsgymnasium, das heutige Akademische Gymnasium, in Salzburg. Damals lag die durchschnittliche Schülerzahl in den Volksschulklassen bei 136, nach der Schulreform von 1869 wurde sie auf achtzig beschränkt. Schulbücher, sofern überhaupt vorhanden, boten nur Text. Wenn ein Lehrer was veranschaulichen wollte, musste er oder sie schon selber zeichnen. Vielleicht hat dem Schüler Pfurtscheller die Zeichenkunst seiner Lehrer wenig imponiert. Vielleicht wollte er etwa besser machen, als er nach seiner Dissertation 1877 an der Universität Wien selbst Bio-Lehrer wurde.
Auf das Wesentliche reduziert, beinah abstrakt, in klaren Farben vermitteln diese Tafeln noch heute einen klaren Überblick das Innere von Moluske, Taube oder Stubenfliege. „Seine übersichtlichen Darstellungen aus der Tierwelt waren sogar in der letzten Reihe noch gut zu sehen. Vom Innenleben eines Seeigels, einer Ratte oder Schildkröte bis hin zum Giftapparat von Schlangen oder der Entwicklung eines Frosches, er zeigte die Anatomie der Tiere präzise und vor allem wissenschaftlich korrekt.“ Vervielfältigt wurden Pfurtschellers Tafeln mittels Lithographie. Eine hundert Jahre alte Lithografie-Presse, eine Leihgabe der Druckgrafischen Werkstatt im Traklhaus, ist denn auch das Herzstück der Ausstellung. Wie sie funktioniert, demonstriert Werkstattleiter Martin Gredler in einem Film, in dem etwa ein Fischkopf gedruckt wird.
Die Schauwerkstatt, malerisch zugerümpelt mit Solnhofener Platten, Papierstapeln, Farben, Pinseln und sonstigem Werkzeug, ist geradezu ein Abbild der richtigen Werkstatt und wirkt so echt, als würde auch hinter der Plexiglaswand grade heftig und gekleckst und gewalzt. Dem Salzburger Künstler und Druckgrafiker Martin Gredler auf dem raumfüllenden Hintergrundfoto auf die Finger schaut der Salzburger Künstler Otto Beck: Dieser sammelt biologische Lehrtafeln, befasst sich seit langem mit dem Werk Pfurtschellers und sei auch mit der Idee zu dieser Ausstellung ans Haus der Natur herangetreten.
Die 13 in der Ausstellung gezeigten Originale stammen denn auch teils aus der Sammlung Otto Beck sowie aus dem Bundesrealgymnasium Adolf-Pichler-Platz Innsbruck und dem Haus der Natur. Geplant hatte der Künstler und Naturwissenschaftler Pfurtscheller siebzig Tafeln. Bis zu seinem Tod 1927 erschienen 38 Tafeln. Nr. 39, die Küchenschabe, blieb unvollendet.
Das Haus der Natur verbindet das historische (bis 1953 vom Njihoff-Verlag ausgelieferte) Unterrichtsmaterial mit neuester Technik und zeigt neben den 13 Originalen die restlichen Tafeln als digitale Projektionen: Man kann sich zur Betrachtung in die schmale Schulbank quetschen. Pfurtschellers Darstellungen wurden nicht nur von Schülern und Lehrern studiert, sie dienten auch den Herstellern naturwissenschaftlicher Modelle als Vorlage: Ein Foto in der Ausstellung zeigt etwa den namhaften Berliner Naturkundler Alfred Keller 1950 beim Modellieren eines überdimensionalen Regenwurms, im Hintergrund zu sehen ist Pfurtschellers Original. Tierpräparate und Modelle aus der Sammlung des Museums ergänzen die Sonderschau.
Meisterwerke der Naturgeschichte: Historische Lehrtafeln um 1900 - bis Februar 2020 im Haus der Natur - www.hausdernatur.at
Bilder: dpk-klaba