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Nur Täuschung ist mein Gewinn…

SCHAUSPIELHAUS SALZBURG / GIFT

11/01/13 Normalerweise ist es in einer Tragödie so, dass die Emotion zunimmt in dem Maß, in dem sich der Spannungspegel erhöht. Nicht so in dem Stück „Gift“ der niederländischen Autorin Lot Vekemans. Da fliegen die Fetzen vor allem am Beginn.

Von Reinhard Kriechbaum

„Wir haben das Kind verloren, dann uns und schließlich einander“ – an einem Silvestertag hat der Mann sich davongemacht, ist er ausgebrochen aus der Atmosphäre namenloser Trauer und Resigniertheit. Die Partnerschaft hat den Schicksalsschlag nicht überlebt. Die Frau ist geblieben, hat sich eingegraben, ja einzementiert in ihre Trauer. Verschiedenartiger als die beiden kann man mit Verzweiflung nicht umgehen, und die Begegnung der beiden nach vielen Jahren des Nicht-Sehens ist entsprechend emotional aufgereizt.

Ausgerechnet auf dem Friedhof, am Grab des Kindes wohl, findet dieses Treffen statt. Angeblich ist der Boden vergiftet und eine Umbettung soll stattfinden. Es kommt aber niemand von der Friedhofsverwaltung, wie in dem ominösen Schreiben angekündigt. Man darf es ruhig verraten, weil diese Pointe sich ohnedies rasch abzeichnet – das Zusammentreffen an dem schicksalhaften Ort hat die Frau so eingefädelt, um die Sprachlosigkeit zu durchbrechen.

Die niederländische Autorin Lot Vekemans hat sich durch die einschlägige psychologische Literatur geackert. Aber es ist ihrem spannenden Theatertext auch anzumerken, dass sie eine gute Menschenkennerin ist. Dass man den Verlust eines Kindes nicht mit bewältigungs-technischen Finten wegradieren kann, ja, dass die scheinbare Bewältigung letztlich auf Selbsttäuschung hinaus läuft, ist offenkundig. Die beiden Protagonisten nähern einander sozusagen mit offenem Messer. Die Frau vor allem ist bereit und willens, jede vermeintliche Blöße des Mannes auszunützen und erbarmungslos mit Worten zuzustechen. Aber auch er verheddert sich selbst immer wieder in seiner Art, mit dem Trauma umzugehen. Dass er jetzt in einer neuen Partnerschaft lebt und seine zweite Frau gerade schwanger ist, macht das Gespräch nicht einfacher.

Christiane Warnecke und Antony Connor spielen im Studio des Schauspielhauses Salzburg dieses differenzierte Stück, und Regisseur Peter Arp hat sie angeleitet, sehr genau zu differenzieren zwischen Emotion und Konversation. Dass der Mann einfach neu gestartet ist, empfindet sie als Hochverrat. Er kann mit ihrer Verhärmung wenig anfangen. Beide Positionen sind aber nur extreme Befindlichkeiten. Szene um Szene wird die Seelenlage präziser aufgeschlüsselt. Christiane Warnecke und Antony Connor bleiben keine eindimensionalen Jammerfiguren. Man kann sich in diese Charaktere gut hineindenken und mitfühlen.

Eine Seelenschau sozusagen von allen Seiten: Das spiegelt das Nicht-Bühnenbild von Tobias Kreft. Ein Rechteck aus dunklem feinen Kies. Einprägsam die erste Szene. Er fährt mit dem rechen durch den Kies, als ob er jede Verwerfung einebnen will, so wie er jede Seelentorsion gerade biegen will. Sie hingegen bildet ein Grab-Geviert nach, sie will die Trauer, die Verzweiflung festgeschrieben wissen.

Dass die beiden viele Argumente bloß vorschützen, um nicht eigene Wunden wieder aufzureißen, also letztlich um sich selbst vor bitteren Wahrheiten zu schützen, wird deutlich. Erst allmählich, wenn es schon so aussieht, als sei ein auch nur annähernd sachliches Gespräch undenkbar, nähern sie sich einander an. Da zaubert er „eine Flasche Wein und etwas guten Käse“ herbei, es löst sich der Krampf – und irgendwie haben wohl beide die Erkenntnis, dass ihnen wohl auch in Zukunft ein gerüttelt Maß an Selbstverleugnung abverlangt werden wird, um das Leben einigermaßen über die Runden zu bringen. „Nur Täuschung ist mein Gewinn“, heißt es in Schuberts „Winterreise“.

Aufführungen bis 1. Februar - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Tobias Kreft

 

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