Lieber nicht
SCHAUSPIELHAUS / BARTLEBY
26/01/12 Da steht er eines Vormittages in der Kanzlei. Vornehm und zurückhaltend. Bartleby wird eingestellt als Schreiber. Der Advokat, stolz darauf, ein Mann ohne Ambitionen zu sein, ist dennoch irritiert, als Bartleby nach wenigen Tagen jede Arbeit ablehnt - mit ausgesuchter Höflichkeit und den Worten „Ich möchte lieber nicht“.
Von Heidemarie Klabacher
Oder besser gesagt mit den Worten „I would prefer not“: „Bartleby“ von Herman Melville (ja, der mit "Moby Dick") ist ein Kulttext der amerikanischen Literaturgeschichte, im deutschen Sprachraum noch immer nicht so gelesen und geliebt wie das groteske Meisterwerk es verdiente. Das könnte sich mit der gelungenen Bühnenadaptierung im Schauspielhaus nun wenigstens in Salzburg ändern. Bartleby ist natürlich kein Bühnentext (so was kommt heute seltener ins Theater). „Erzählung“ steht im Programmheft. Gar nichts steht im roten Reclamheft. Nur „Bartleby“.
Zuerst verweigert dieser die Mithilfe beim Korrekturlesen (wir befinden uns in jenen Tagen, als Akten noch von Advokaten-Hand aufgesetzt und von Kopisten-Hand abgeschrieben wurden). Nach einigen Tagen verkündet Bartleby, dass er das Kopieren aufgegeben habe. Nicht nur kurzfristig wegen Augenentzündung, sondern überhaupt. Der nächste Schritt: Bartleby ist im Büro eingezogen und weigert sich auch nach mehrmaliger - immer freundlicher - Aufforderung des Advokaten, auszuziehen. „Ich möchte lieber nicht.“ Auf Angebot des Advokaten, doch zu ihm nach Hause zu übersiedeln, sagt Bartleby, er möchte sich derzeit lieber nicht verändern…
Die Bühnenfassung von Bernd Liepold-Mosser hält sich eng an den Originaltext. Der seltsam langsame in sich kreisende Duktus von „Bartleby“ bleibt spürbar. Fremde Einsprengsel gibt es nur, wenn der Advokat zu philosophieren/spintisieren - und an eigenem Verhalten und Verstand mehr noch, denn an Bartlebys - zu zweifeln beginnt.
Dann fantasiert er - in mehreren Sprachen - über die Farbe „weiß“, über weiß etwa als die Farbe des Lichts oder des Nichts. Dahinter steckt natürlich „Moby Dick“, der weiße Wal. Also der Roman, mit dem Herman Melville, 1819 bis1891, berühmt wurde. Diese kurzen Ausreißer aus der hermetisch-mythischen Kanzlei hinaus auf einen zwar unendlichen, aber ebenfalls hermetisch-mythischen Ozean intensivieren interessanterweise die klaustrophobische Wirkung der Bühnenadaptierung. Sie machen noch deutlicher, dass in der Psyche des Advokaten auch nicht alles ganz im Lot ist.
Dieser bleibt auch auf der Bühne der „Erzähler“, dessen Lebensprinzipien - Ordnung, Genauigkeit - stärker klingen, als sie sind. So ist der namenlose Advokat stolz darauf, noch nie an das Gericht ein großes Plädoyer gerichtet zu haben. Ja könnte er das den überhaupt? Hat er sich schon je einmal herausgetraut, aus seinem muffigen Büro? Ist er nicht ebenso ein Gefangener seiner selbst, wie Bartleby? Ist er nicht schwächer in seiner duckmäuserischen Nachgiebigkeit (auch gegenüber den anderen „Teilzeit-Exzentrikern“ der Kanzlei) und den halbherzigen Versuchen, dies Schwäche zu kaschieren?
Stärker als im Originaltext scheint jedenfalls die beinahe symbiotische Beziehung des Notars zu Bartleby zu sein. Sind sie überhaupt zwei? Die identischen Frisuren berechtigen zu der Frage.
Regisseur Harald Fröhlich ist es also gelungen, dem vieldeutigen Text die eine oder andere Rätselhaftigkeit hinzuzufügen, ganz ohne sich auf eine simple Lesart - wie etwa „psychische Krankheit“ - festzulegen. Am Ende stammelt der Advokat und verstummt in Sprachlosigkeit: auch das öffnet Deutungsräume.
Markus Marotte gibt mit großer Zurückhaltung diesen Advokaten, es gelingt ihm, unter der Oberfläche souveräner Gutmütigkeit einen feinen Ton von Unsicherheit und Verzweiflung zu transportieren. Thomas Enzi ist ein grandioser Bartleby. Sein Text ist inzwischen bekannt. Doch mit wie vielen Facetten in Stimmklang und Körpersprache er seinen Standpunkt klarmacht! Für komödiantische Augenblicke sorgen Christoph Griesser und Maximilian Pfnür als die beiden anderen Kanzleigehilfen Turky und Nippers. Isabel Berhout ist der diensteifrige Bürolehrling Ginger Nut.
Die kleine schräge Bühne mit den quasi im Boden versenkten Schreibtischen von Ragna Heiny deutet mit wenigen Versatzstücken die Kanzlei an, öffnet aber genauso wie die subtile Personenführung und die gelungene Theaterfassung weite Deutungsräume.