Zickenkrieg im elisabethanischen Zeitalter
SCHAUSPIELHAUS / MARIA STUART
24/02/11 Männer sollen, außer bei medizinischer Indikation wie Rippenbruch, keine Korsetts tragen - oder wenigstens was drüber anziehen: Die Produktion „Maria Stuart“ im Schauspielhaus gibt mit gut drei Stunden Dauer ausreichend Zeit, diese Erkenntnis reifen zu lassen. Sonst: Darstellerisch starke Szenen, trotz einer „Textfassung“ von Regisseurin Eva Hosemann, die das Königinnendrama beinah auf seinen „Gender-Aspekt“ reduziert.
Von Heidemarie Klabacher
Gegenüber den 19 Personen (ohne französische und englische Herren, Trabanten, Hofdiener und Diener und Dienerinnen der Königinnen) weist die Darstellerliste der neuen Schauspielhausproduktion gerade mal neun Positionen auf. Das soll und darf und muss wahrscheinlich „heutzutage“ so sein.
Trotzdem ist es lächerlich, wenn in Folge solcher Personaleinsparungen die katholische Königin von Schottland in ihrer letzten Stunde bei ihrem anglikanischen Kerkermeister beichten muss: Das stört in der schauspielerisch wirklich bewegenden Kerker-Szene - einer der stärksten des Abends - doch ziemlich. Andererseits ist im Original dieser Szene das plötzliche Outing des Haushofmeisters Melvil als geweihter Priester auch recht märchenhaft. Also warum nicht der Kerkermeister… Ein scheinbar marginales Beispiel. Aber es erzählt einmal mehr davon, dass Eingriffe in den Text diesen wohl kürzer, aber nur selten sinnfälliger machen.
Hat Elisabeth, Königin von England, wirklich keine anderen Motive, als sexuelle Eifersucht auf Maria Stuart, Königin von Schottland, Gefangene in England seit 19 Jahren? Diese Elisabeth jedenfalls scheint alle politischen Erwägungen in den drei Tagen vor der Hinrichtung Marias (auf die Schiller sein Trauerspiel konzentriert) nur als Deckmantel für ihre privaten Hass- und Rachegefühle anzustellen. Eine Konzermanagerin, die gegen die Aufsichtsratsvorsitzende eines absteigenden Konkurrenzunternehmens aus erotischen Gründen intrigiert, könnte nicht uninteressanter sein. Solche Zickenkriege führen Desperate Housewives besser. Dazu muss man keine vermoderten Königinnen bemühen.
Die verschiedenen Versuche verschiedener Getreuer, Maria zu retten, die bei Schiller eine so unglaubliche Spannung entwickeln, sind in der bereinigten Fassung naiv und lächerlich. Dass also in Summe alles ein wenig flach und schal wirkt (und sich gelegentlich sogar an der Kippe zur Langeweile bewegt), liegt also keineswegs an Elke Hartmann als Elisabeth, und schon gar nicht an Daniela Enzi als Maria Stuart.
Daniela Enzi gibt ihre Maria als Grande Dame, die sich auch nach zwei Jahrzehnten Gefangenschaft mit ihrer Machtlosigkeit nicht abfinden will, die vieles bereut (vielleicht auch nur, dass sie sich - wie nach dem Gattenmord - hat erwischen lassen), die dennoch nichts anders machen würde. Eine starke Frau bis zuletzt - besonders zuletzt. Dass die Verurteilte bittet, man möge ihre Diener „ungekränkt“ entlassen, ist für heutige Verhältnisse - und besonders im Kontext dieser brachial ausgenüchterten „Textfassung“ - starker Tobak. Daniela Enzi bringt das ohne Sentimentalität.
Regie (Eva Hosemann) und Ausstattung (Stefan Bruckmeier) scheinen dann „Maria Stuart“ und „Die Jungfrau von Orleans“ zu verwechseln (die beiden Dramen kommen ja auch in alten Ausgaben so um 1870 hintereinander vor): Der von unten rot-glühend angestrahlte Gitterrost erinnert jedenfalls mehr an Scheiterhaufen, denn an Richtblock.
Im Übrigen ist die Bühne eine Art Mischung aus überdimensionalem Kreuz und Laufsteg auf grünem Grund: ein brillantes zurückhaltendes Setting, das unterschiedliche Ebenen und Räume wie von selber entstehen lässt.
Aus der Männerriege (Volker Wahl, Oliver Hildebrandt, Timo Senff, Maximilian Pfnürr, Thomas Pfertner und Olav Salzer - alle in Korsett und elisabethanischem Kragen ohne was herum) sei Marcus Marotte herausgegriffen. Er vertritt als Paulet - adeliger Gefängniswärter und wahrer Hüter der Maria - mit größter Ruhe und größter Zurückhaltung Menschlichkeit und Gerechtigkeit: als einziger in einer Umgebung von Naiven, Selbstgefälligen und Gemeinen.
Elke Hartmann als Elisabeth muss sich weitgehend auf Emanzen-Gehabe beschränken. Am Schluss gibt Elisabeth ja ihren Vertrauten und Beratern die Schuld an der Vollstreckung des Todesurteils: Elke Hartmann bringt das emotions- und farblos, wie unter Medikamenteneinfluss. Echt gut gemacht. Aber man möchte an dieser Stelle doch eigentlich ganz gerne mit den Zähnen knirschen, die Fäuste ballen, sich nur schwer beherrschen können - angesichts dieser abgründigen Gemeinheit - und nicht nur feststellen wollen, dass es jetzt bald aus sein wird.