Theater ohne Sicherheitsabstand
SCHAUSPIELHAUS / DRAMA EN SUITE
14/02/11 In der altmodischen Suite 111 des Hotel Altstadt Radisson Blu in der Judengasse ist es etwas stickig. Zaghaft betreten die zehn Zuschauer den Raum. Sobald sie auf den wenigen Sitzgelegenheiten Platz genommen haben, ist es völlig still. Ein Hotelzimmer, zehn Zuschauer und ein Schauspieler: So nah kann Theater sein.
Von Nina Ainz
Am Anfang ist es ein beklemmendes Gefühl: Da sitzt man in der ersten (und einzigen) Reihe, völlig schutzlos, und wagt kaum zu atmen. Man wirft sich nervös lächelnd Blicke zu. Dann regt sich auf einmal etwas in dem großen Doppelbett aus dunklem Holz, das in der Mitte des Zimmers steht. In den weißen Laken liegt ein schlafender Mann im Anzug. Einige Minuten vergehen, es passiert nichts. Dann steht er langsam auf, geht ins Vorzimmer, zieht sich seine Schuhe an, geht ins Bad, man hört Wasser plätschern, er kommt zurück und blickt etwas ratlos auf uns, sein Publikum. Man fragt sich unweigerlich: Was erwartet mich hier?
„Drama en Suite“ nennt sich das neueste Projekt des Schauspielhauses, das am Freitag (11.2.) im Hotel Altstadt Premiere hatte. Ein „Theatererlebnis mit allen Sinnen“ und die Möglichkeit, „Schauspieler aus einem völlig neuen Blickwinkel zu erleben“, „ohne Bühne und in größter Unmittelbarkeit“, dies verspricht die Homepage des Schauspielhauses.
Nun, der Blickwinkel bleibt derselbe, nämlich der aus der Frontalperspektive, aber das Erlebnis ist tatsächlich ein anderes. Das beginnt bereits beim Empfang: Treffpunkt ist die Hotelbar, ein Getränk ist im Kartenpreis inbegriffen. Die überschaubare Gruppe an Zuschauern wird persönlich in die jeweilige Suite geführt, das verleiht unweigerlich ein Gefühl der absoluten Exklusivität. Ganz zu schweigen vom Ambiente eines Luxushotels, dem man sich kaum zu entziehen vermag.
Zur Premiere des Theaterexperiments spielte Max Pfnür Nikolai Gogols Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen, Regie führte Arturas Valudskis. Die Suite mit ihren Biedermeiermöbeln ist wie geschaffen für diese Inszenierung, der ganze Raum strahlt den längst verstaubten Glanz vergangener Zeiten aus, die schummrige Beleuchtung tut ihr Übriges. Max Pfnür ist ein durchaus sympathischer Poprischtschin, sein verschmitzter Wahnsinn schwingt von Anfang an mit. Er lächelt viel und stellt oft Blickkontakt zum Publikum her; etwas, woran man sich erst gewöhnen muss, wenn man den Großteil seiner bisherigen Theateraufführungen in dunklen Sälen verbracht hat. Hier in diesem Raum gibt es keine Bühne und somit auch keinen Sicherheitsabstand.
Mehr und mehr verschmilzt das Komische an Poprischtschins Wahn mit dem Tragischen, aus realen Begebenheiten werden in seinen irren Vorstellungen Fantasiegespinste. Anfangs lächelt man noch, wenn er die Briefe liest, die sich die Hunde seiner Angebeteten schreiben, und auch noch dann, als er, der einfache Beamte, glaubt, er sei der König von Spanien. Mit jedem Kleidungsstück, das er auszieht, kommt mehr vom weißen Hemd der Nervenheilanstalt zum Vorschein, und schließlich liegt er am Boden, gepeinigt von den Methoden der Pfleger in der sogenannten Heilanstalt, die ihn schlagen und kaltes Wasser über den kahlen Kopf leeren, und das Lachen ist schlagartig vergangen. Pfnür bringt aber auch die Poesie der Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen wunderbar zum Ausdruck, sein entrückter Blick birgt genug Irrsinn, aber auch den Funken Wahrheit, den nur der Wahnsinnige auszusprechen fähig ist.
Am 18. sowie am 19. Februar haben Interessierte nochmals die Gelegenheit, die Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen zu sehen. Danach sind Aufführungen von Marie Brassards Jimmy, Traumgeschöpf mit Christiane Warnecke geplant. „Schnell sein“ lautet die Devise, wenn man an diesem Experiment teilhaben möchte: Es gibt bereits eine Warteliste, auf die man sich setzen lassen kann. Auch beim Kartenkaufen heißt es flexibel sein; die freien Termine bekommt man kurzfristig per SMS oder E-Mail zugesandt. Diese etwas unbequeme Prozedur lohnt sich aber: „Drama en Suite“ ist ein wunderbares Theatererlebnis.