Verhaltene Vermotzung, unheilbar gesund
KABARETT / MOTZART / KREISLER, PETERS
07/02/11 Die Lesung aus dem Buch „Anfang“ führt nicht weit. Anfangen ist leicht, durchhalten schwer. Ebenfalls nicht zufällig präsentierten Georg Kreisler und Barbara Peters im Rahmen der „MotzART-Woche“ am Samstag (5.2.) das Buch „Zufällig in San Francisco“: Gedichte, die Georg Kreisler „keinesfalls vertonen“ möchte, sind hier versammelt.
Von Erhard Petzel
Im Text „Ein Ärgernis“ verwahrt sich Kreisler gleich einmal dagegen, als Kabarettist bezeichnet zu werden. Georg Kreisler nennt seine Gedichte „unbeabsichtigt“, weil sie ohne logische Kontrolle entstünden und so Wahrheit selbst im Gegensatz beschrieben. „Ein Gedicht besteht aus Nebenbehauptungen“, behauptet er. Womit er das meint, was jeder Leser/Hörer mit einem Begriff zusätzlich mitdenkt - und das allen anderen verschlossen bleibt.
Kaum auf der Bühne, kaum vor dem Publikum aufgetreten, dieser „Schafherde auf zwei Beinen“ (so wir nicht eigenständige Individuen blieben), legt er los und sich ins Zeug: erläutert sich und seine Texte und bereitet diese zu inhaltlichen Bögen vor und auf, liest selbst trocken und hat für das feine Theatralische und Dramatische seine charmante Begleitung Barbara Peters, die ihn ergänzt und kontrastiert, nicht nur das weiße Haupt durch grellrote Haarpracht. Ein sich wohltuend komplettierendes Paar.
Nein, Kabarett im herkömmlichen Sinn ist es wohl nicht. Wenn er Gedichte und Texte der intellektuellen Prominenz zu Beginn des 1. Weltkriegs vorträgt, baut ein aus der Zeit Gefallener die Einsichten seines Lebens vor den Leuten auf. Einsichten, die zeigen, wie und wer wir durch die Zeiten sind vor den Katastrophen, die grundlos über Nacht auf uns hereinbrechen. So seien wie Hitler aucz die Autos über uns gekommen, was nicht zu erklären sei. Der Fortschritt dahinter jedenfalls sei fraglich. Sei Wissenschaft einmal der Wahrheit und Kunst dem Vergnügen verpflichtet gewesen, läge das heute umgekehrt (trauriges Publikum, fröhliche Raumfahrt).
„Anfänge“, weiteres Thema einer Textreihe, seien leicht, erst das Durchhaltevermögen sei relevant. Naturgemäß kokettiert ein Alter mit sich und seinen Rollen, um seiner Rolle im Leben auf den Grund zu kommen. Wer Jahrzehnte auf sich vereint, deckt einen so breiten Bereich Menschsein ab, dass er prototypisch für ein Ganzes steht.
Er wird sich und uns, die ihn irgendwie begleiten, zum Gewinn aus der dauernden Summe seiner Existenz. Selbst die Wortkaskaden der alten Liedtexte leben erfrischt auf und spannen den Bogen bürgerlichen Geists einer früheren Epoche zu den Klangprodukten der jungen Heutigen. Und ganz viel ist zeitlos, wie die Kunst Kreislers eigentlich immer angelegt war, und aktuell gültig.
Kein Schenkelklopfer und nicht die überraschende Neuheit. Die Menschen im Zuschauerraum applaudieren innig dem Paar, das ihnen die Würde des Menschen gezeigt hat. Schaut her, es gibt zwar kein spektakuläres Klavierspiel mehr, aber wir haben was drauf. Wir zeigen euch das Wesentliche, das ist Unseres. Ihr kommt zu uns, weil ihr uns ehrt und kennt und mit uns gehen wollt. So lang wir da sind, haben wir unsere Stimmen und leben ewig. Oder etwas weniger pathetisch im O-Ton: Vielleicht sind nicht nur die beiden da oben „unheilbar gesund“.