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Fanatisierung und Missbrauch

KLEINES THEATER / JEANNE D´ARC

08/11/23 Jeanne d’Arc als getriebenes Opfer und missbrauchte Jugendliche, im Zustand neurotischer Schein-Selbstermächtigung: Die Fassung des Stoffes durch Cassandra Rühmling bringt aktuelle Themen zwischen politischer Vereinnahmung und Radikalisierung zu Tage.

Von Erhard Petzel

Cassandra Rühmling greift zwar großflächig auf den Dramentext Schillers zurück, gibt ihm aber stellenweise einen völlig anderen Spin. Das geschieht durch die Reduktion auf drei Personen, die durchgehend zueinander in Beziehung stehen. So braucht es nicht den Vater Thibaut, der gleich einmal zu Beginn durch den Bischof de Beauvais, Pierre Cauchon, ersetzt wird. Erich Josef Langwieser spielt stupend diese Rolle eines alternden Opportunisten, der seine kirchliche Autorität gegen Johanna dazu missbraucht, das verhuschte Mädchen zur religiös-nationalistischen Ikone aufzustacheln, um sie schlussendlich in zynischer Manier auf den Scheiterhaufen zu bringen.

Für dieses Finale zieht Rühmling die Protokolle des Ketzer-Prozesses gegen Jean d’Arc heran. Der Bischof, Berater des Königs, wird für diesen Verrat mit einem Erzbistum belohnt werden. Seine rechte Hand ist Gilles de Rais, der bei Schiller nicht vorkommt, Johanna aber als Krieger beigestellt war und hier ebenfalls mehrere Rollen in sich vereint. Er steht im Zentrum der Dramaturgie, da sein Verhältnis zu Johanna von Beginn an mit sexualisierter Gewalt verbunden ist.

Diese deftige Deutung, die der realen Jungfräulichkeit der Heldin von vornherein keine Bedeutung beimisst und als hysterische Inszenierung entlarvt, lässt sich als Bildvergleiche erstaunlich gut mit Schillers Text erreichen. Die Eindeutigkeit entsteht wenn Torsten Hermentin die Nacht vor der Schlacht nur mehr mit Hemd bekleidet ist. Die Rolle des Jungfern verführenden Wüstlings spielt er durchgehend, ob er übergriffig Schwertunterricht erteilt oder zum Schluss als Ankläger klar zu verstehen gibt, dass sie bis in den Tod sein Spielzeug und erotische Projektionsfläche ist. Allerdings wird in den Prozess auch sein ferneres Ende eingebaut mit seiner Verteidigung. Er wird nach langjährigem Kindesmissbrauch und Massenmord an Kindern hingerichtet werden.

Wie die von ihr verkörperte Figur ist auch Cassandra Rühmling ein universelles Energiebündel, das Hauptrolle, Textvorlage, Dramaturgie und Inszenierung in sich vereint, um in die Schlacht für die Frauensache zu ziehen. Dass sie das Thema universell aufzieht, wird deutlich an der Kooperation mit akzente Salzburg und dem Gewaltschutzzentrum Salzburg. Die Adressen etlicher Opferhilfe-Einrichtungen sind im Programm aufgenommen, sodass Theater hier tatsächlich zum Brückenschlag ins reale Leben einlädt. 

Das Thema Missbrauch ist hier auf der Bühne deutlich und zentral herausgestellt. Johanna ist verblendetes Opfer, das sich durch frühe Traumatisierung über Kriegserfahrungen als Propagandawaffe verwenden lässt und fanatisiert ins Kampfgewühl getrieben werden kann. Letztlich brüllt sie aber die Phrasen nach, die ihr vom Heerführer in den Mund gelegt werden.

Als lebende Bombe findet sie auch nicht in eine Frauenrolle nach dem Geschmack der Männer zurück, sondern gerät von ihrem Fanatismus getrieben aus dem Zentrum der allgemeinen Bewunderung in eine unerträgliche und tödliche Außenseiterposition.

Vor allem im ersten Teil der Aufführung, Premiere war am Samstag (4.11.) im Kleinen Theater, gelingt die Charakterisierung einer verhetzten Jugendlichen auf sehr eindrückliche Weise, sodass sich Querverweise auf Schicksale von Kindern im Krieg in der Geschichte und heute aufdrängen. Auch die Fallhöhe von der Ikone zur Ausgestoßenen ist eine so kollektive wie aktuelle Beobachtung. Insgesamt geht es Rühmling mit ihrem Projekt aber ein bisschen wie ihrer Protagonistin: Sie will möglicherweise zu viel auf einmal. Vielleicht kann die Routine der Aufführungen auch etwas zur Straffung beitragen. Für die Bühne zeichnen Andreas Lettner/leander, Friedrich Rücker und Alois Ellmauer, für die Kostüme Lili Brit Pfeiffer und Jan Meier.

Der musikalische Hintergrund von Ronny Rühmling und Markus Brandt unterstützt die Szenerie emotional und plastisch. Die Zahl der eingestreuten Lieder ist aber eindeutig zu hoch, wie immer man zu ihnen geschmacklich steht. Jedenfalls fällt dieses Projekt an Ausdruckskraft nicht hinter Schillers Vorgabe zurück. Die Konzentration auf den Handlungsstrang eines Kammerstückes schärft Aussage und Handlungskern. Das engagierte Spiel auf der Bühne bringt das Spektrum der drei Charaktere zum Leuchten.

Jeanne d’Arc – Aufführungen im Kleinen Theater bis 25. November – www.kleinestheater.at
Bilder: Kleines Theater / Benjamin Blaikner

 

 

 

 

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