Die Nornen ziehen die Fäden
LANDESTHEATER / MARIONETTENTHEATER / RING
27/10/23 Wagners Ring-Mythos ist nicht zerstörbar, aber mit Witz in kurzer Frist hinreichend erklärbar. Die wiederaufgenommene Koproduktion von Marionettentheater und Landestheater unter der Regie von Philip Maldeghem dampft die vier abendfüllenden Opern auf zwei Stunden ein.
Von Erhard Petzel
Christiani Wetter und Tim Oberließen bevölkern in ihrer realen Körperlichkeit neben den Marionetten die Bühne des Marionettentheaters und erläutern im Zeitraffer die Opernhandlung und ihre Hintergründe, oft als Melodram mit der eingespielten Orchestermusik, wenn nicht gesungene Partien ausgespielt werden. Mit dem zusätzlich fallweise seitlich projizierten Textmaterial kommt ein intensives Informationsbreitband auf das Publikum zu. So ist das Projekt eine perfekte Einstiegshilfe für nicht ausgefuchste Wagnerianer, sogar mit aktualisierender Problembetrachtung.
Verschiedene Inszenierungen hat man ja im Hinterkopf und erkennt manche Anspielung. So wird der im schillernd roten Smoking von Christian Floeren eingekleidete Loge zum allwissenden Spielleiter hochgelobt und die Rheintöchter schweben im Wasser etwas widersprüchlich nach einer Kraftwerksanlage. Ausstattung und Kostüme zitieren eine Wirtschaftswundergesellschaft. Die Götter fahren mit einem guten alten Ami-Straßenkreuzer ein, Walhall ist eine Mini-Akropolis mit Mascherl. Das Verhältnis von Mensch zu Marionette wird durch den Hintergrund mythologisch überhöhten Figuren-Personals noch einmal kreativ durchbrochen. Das Schauspielerpaar als Fafner und Fasolt gibt der Heftigkeit noch einen zusätzlichen Schub, wenn die vom Bühnenrahmen gleichsam geköpften Riesen die göttlichen Marionetten am Schlafittchen packen.
Sehr deutlich wird der animalische Verrat Siegfrieds an Brünhilde, da der große Tim Oberließen als Gunther mit Tarnhelm-Marke auf brutalisierten Siegfried macht und gegen die kleine Puppe wütet. Herrliches Symbol, wenn der durch seine Stellung aufgeblasene Großkopf vor der kleinen Siegfried-Marionette kuscht, besonders witzig die Eidformel. Apropos aufgeblasen: Der Wurm Fafner wird zum Luftpuppen-Riesen und bietet seinem Angreifer herrliche Gelegenheiten zu einem Showkampf Marke Hüpfburg.
Recht beeindruckend auch so mancher Bühnenhintergrund. Ein Baumstamm-Querschnitt für die Esche bei Hunding, die sich teilt nach Nothungs Entnahme. Oder so wirksam wie einfach Niebelheim mit zwei Ventilatoren, zwei Leitern und einer Goldbarren-Palette. Sehr schön der Ring im Finale als wiedererlangtes Gold-Spielzeug der Rheintöchter, bis er als Stern in der alles verschlingenden Nacht das letzte Lichtzeichen sendet.
Bleibt die Frage nach Verlust durch Kürzung. Erda und die Nornen sind gestrichen (vielleicht weil die Nornen im Schnürboden sitzen und dort die Fäden ziehen). Loge verzichtet bei seiner Erzählung auf das Anliegen der Rheintöchter. Alberich verflucht seinen Ring im Blitztempo. Wotans Stippvisite als Wanderer verkommt zum kurzen Bild ohne Rätsel und läuft parallel zu Siegfrieds Schwertschmiede. Auch will Mime Siegfried nicht vergiften und wird daher etwas unmotiviert umgebracht. Siegfrieds Trauermarsch muss als Hintergrundmusik über seinen Szenenuntergrund hinaus dienen. Insgesamt funktioniert die Kürzung – auch gemessen an anderen Projekten wie das von Loriot – recht gut, gewürzt mit Anschaulichkeit und gutem Schmäh.
Schade, dass die musikalische Fassung Philippe Brunners auf Aufnahmen unter Sir Georg Solti aus der Urzeit 1958-1964 stammt. Bei aller Ehrfurcht vor den großen Namen der Zeit, es ließen sich vielleicht doch neuere Produktionen finden, deren Rechte bearbeitungsfreundlich wären und deren Textverständlichkeit die des Waldvögeleins überträfen (ohne Drachenblut). Trotzdem eine perfekte Einführung ins Werk, wie die Begeisterung der bayrischen Pensionist*innenscharen beim Schlussapplaus in der Generalprobe beweist, nachdem eben die zu Beginn noch zu Es-Dur geschwätzt und sich eingehustet hatten. Sollte eigentlich in den Produktionskanon für Schulen.