Geniale Blödelei jazzt die Musen
KAMMERSPIELE / SHAKESPEARES GESAMTE WERKE – LEICHT GEKÜRZT
10/11/23 The Complete Works of William Shakespeare (abridged) ist eine sehr „englische“ Kammerfassung des Gesamtwerks des Nationaldichters. Ein herrlicher Stoff für Marco Dott, der als Regisseur seine komödiantischen Neigungen wieder einmal voll ausleben kann. Es ist schon sehr blöd. Aber auch sehr gut.
Von Erhard Petzel
Der Wahnsinn begann 1981 mit Hamlet als halbstündiges Comedy-Konzentrat in San Francisco. Daniel Singer, Adam Long und Jess Winfield ließen weiterte Instantfassungen folgen, bis 1987 deren „komplette“ Werke Shakespeares beim Edinburgh Fringe Festival ihren Triumphzug begannen.
Nun triumphierte Regisseur Marco Dott mit seiner Lesart bei der Premiere in den Kammerspielen am Donnerstag (10.11.) Kongenial sein Team mit Janna Ramos-Violante, George Humphreys und Owain Rhys Davies: Das Gesamtwerk in zwei Stundenn, nach der Pause die Klimax an Komik am dramatischen Knackpunkt Hamlet.
Man muss die Werke Shakespeares nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben, um auf seine Rechnung zu kommen (obwohl schon hilfreich), ein gerüttelt Maß an Beherrschung der englischen Sprache allerdings ist für das volle Vergnügen doch empfehlenswert. Denn die Gefilde transatlantischer Blödelei sind dicht bebaut und strotzen vor typisch englischem Humor, wie man ihn von den Monty Pythons im Gedächtnis hat.
So wenig der Geist geschont wird, so sehr ist auf der Bühne volle Aktion ohne Rücksicht auf Verluste angesagt. Eva Musils rudimentäre Bühne mit gehängten Flächen ergibt die einfachste Struktur einer Raumgestaltung und damit größtmögliche Freiheit, in der akrobatisch und mit schamlosem Outrieren die Musen gejazzt werden. Ein Fenster-Loch dient Hamlet – vor dem in dieser Fassung hoflosen Claudius – als Kasperltheater. Womit eine weitere Meta-Ebenen-Botschaft erfolgreich abgesetzt ist. Der Abend in den Kammerspielen ist eine krude Mischung aus Conference, die durchaus nicht wenig seriöse Information birgt (allerdings oftmals verborgen im Meer an Anspielungen und Kalauern), eingespielten Szenen und freien bis wilden Kommentaren, wobei der Einbruch in den Zuschauerraum einen Dauerzustand darstellt: Das Publikum ist sich seiner vertrauten Absicherung zur Bühne nichts weniger als sicher.
Ophelias Schrei wird zum psychologischen und soziologischen Streitfall, zu dessen Entwicklung zunächst ein Mädchen, dann zusätzlich ein Bursch aus dem Zuschauerraum entnommen werden. Sie muss allen künstlerischen, soziologischen, psychologischen, biologischen und dabei natürlichen Facetten dieses Schreis ihre Stimme geben. Er muss im Hintergrund hin und her rennen.
Damit nicht genug, soll das Publikum in verschiedenen Sektionen dementsprechende Facetten für einen den Schrei stärkenden Hintergrund aus Slogan und Bewegung erzeugen. Das erstaunliche Resultat: Es hat tatsächlich funktioniert, der finale Schrei war nicht ohne. Man merkt, der Rezensent bleibt schamlos am Hamlet hängen. Er ist aber auch am ausführlichsten mit allen möglichen Finessen durchgeführt. Weil zum Schluss angeblich 53 Sekunden bleiben, gibt es einen extra Schnelldurchlauf zum dänischen Prinzen. Dem folgt ein Schnellstdurchlauf. Dann der Schnelle von hinten nach vorn. Es ist schon sehr blöd, aber eben auch sehr gut.
An witzigen Einfällen mangelt es in der gesamten Aufführung nicht. Genial die Zusammenfassung der Königsdramen als Rugby-Match um die Krone. Oder der finale Kampf des Macbeth mit Golfschläger. Natürlich gehört zur gestandenen Parodie alter Schule das Spiel mit Transsexualität (oder einfach der Hosen- und Rockrolle im Drag-Queen-Modus), die heute aus der politischen Korrektheit gefallen, aber immer noch lustig ist (aren wir früher einfach lustiger oder nur unbedarfter?). Wenn Julia mit Kokosschalen-Busen auftritt, werden natürlich Monty Pythons zitiert. Dafür hat die Amme Hängebusen-Strümpfe. Beide werden selbstredend von den Männern gespielt. Wunderbar flexibel für schnelle Wechsel und von schreiend knallig bis zu lächerlichem Understatement reichend die Kostüme Simon Barths. Ein schneller, spritziger Abend für alle des Englischen Mächtigen, die schrägen Humor lieben und hier massiv auf ihre Rechnung kommen.
Weitere Aufführungen in den Kammerspielen bis 14. Dezember – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: SLT / Tobias Witzgall