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Macht, was ist das nur?

SCHAUSPIELHAUS / ARTUS, LETZTE SCHLACHT

12/11/21 Schwert rausgezogen aus dem Stein, König geworden, was nun? Keine Spielerei für Artus, der alles andere ist als ein Alphatier. Jérôme Junod zeigt im Schauspielhaus Salzburg in Artus, letzte Schlacht einen zermürbten König, gelandet in der Tiefebene des Alltags. Kann nur schlecht ausgehen für ihn.

Von Reinhard Kriechbaum

„Stell dich aufrecht und gib mal den König“, sagt Ziehbruder Kay, der im Gegensatz zu Artus keine Skrupel kennt, sondern fürderhin als rechter Haudegen an des Königs Seite das Grobe erledigen wird. In einem netten Schattenspiel sehen wir quasi als Ouvertüre diesen ersten Auftritt des Sagen-Königs, der sagenhaft betropetzt da steht angesichts des unerwarteten Karrieresprungs. Guinevere sticht ihm sogleich ins Auge. Als als er ihr gegenübersteht, weiß er gar nicht mehr, wohin mit Händen und Schwert vor Verlegenheit. Viele ihm zujubelnde Menschen kann der tollpatschig anmutende Neo-Regent nicht einordnen, aber man beruhigt ihn: „Die zählen nicht – das ist nur Volk.“

Vorhang auf. Jetzt ist's schon bitterernst mit dem König-Sein. Eigentlich mit dem König-gewesen-Sein. Wir haben ja Teil an „Artus' letzter Schlacht“. Die beginnt so recht erst, wenn die Schwerter ruhen. Ernst nimmt den König schon lange keiner mehr. Hat er doch auf die Frage, ob man Krieg führen soll, mit „Warum?“ geantwortet. Kommt nicht gut im Testosteron-Umfeld. Mit den Frauen könnte Artus besser als mit den Rittern, aber von Guineveres Seite gibt’s halt doch auch eher Vorwürfe. Sie hat einen König geheiratet und einen Waschlappen bekommen.

Jérôme Junod, ein Theatermann aus der französischen Schweiz, interessieren die letzten Windungen an der Macht-Spirale. Was passiert, wenn aus dem Erfolg Gewöhnung geworden ist? „Macht – was ist das nur?“, sinniert Artus. Das wird gut bühnentauglich durchdekliniert. Der Autor ist Chefdramaturg und Spielleiter im Schauspielhaus Salzburg. Er kennt seine Pappenheimer und hatte wohl für jede Rolle dieses Kammerspiels schon die Figur vor Augen. Die Stimme vermutlich auch, denn der literaturkundige Dramaturg spielt gerne mit der Sprache, zwischen Stabreim und Alltagssprache, zwischen gestelztem „Bühnendeutsch“ und (heutigem) Polit-Sprech. Mein individueller Liebling in dieser Figuren-Gemenelage ist Lancelot (Olaf Salzer), ein Grand Guignol der Wortspielerei. „Schengen ist seliger denn nehmen“, sagt er, wenn's darum geht, die bösen Sachsen wieder mal zu vertreiben von der britischen Insel.

Jérôme Junod hat Humor. Gerne lässt er Szenen ins Absurde kippen. Oder Figuren, die ganz und gar karikaturenhaft angelegt sind, sagen urplötzlich ur-vernünftige Dinge. Man wird da einen Abend lang nicht gerade mit übertriebener Intellektualität strapaziert, aber so manchen Denkanstoß gibt’s. Unterhaltend ist's allemal, wenn auch in der Szenen-Abfolge gegen Ende hin etwas episch. Aber das darf wohl sein bei einem solchen Stoff. In diesem sieht der Autor, wie er es im Programmheft-Interview formuliert, die Aufforderung zum Weiterfabulieren, wie es über Jahrhunderte, ja über 1300 Jahre mit der Artus-Figur und dem ganzen Sagenkreis geschehen ist. „Perfekter open source“, so Junod.

Theo Helm ist in der Salzburger Uraufführung dieser König von der traurigen Gestalt, der so gerne Philanthrop wäre und das Beste leistete für sein Volk, wenn dieses ihn denn für voll nähme. So bemitleidenswert selbstzweifelnd schaut er drein, dass man schützend die Hand über ihn legen wollte. Aber seine wichtigste Bezugsperson ist eben Kay (Jens Ole Schmieder), ein Brutalo, der über Leichen geht.

Vergeblich appelliert Artus ans Volk und erinnert es daran, dass es ihm eh gut geht. Doch nichts kommt zurück als „Gegrunze“, wie es der frustrierte König formuliert. „Beschütz sie und vergiss Dankbarkeit“, empfiehlt die Realistin Guinevere (Christiane Warnecke). Ihre Hofdame Blanche (Magdalena Oettl), die Belesene und darob Weitsichtige, empfiehlt ein Investitionsprogramm, Brücken bauen und Schulen einrichten. „Schulen? Wir sind Barbaren“, zweifelt Artus nicht ganz zu unrecht.

Zuletzt wird Artus, auf Sinnsuche irrlichternd, Lancelot wiederfinden. Er ist Einsiedler geworden, einsilbig, aber abgeklärt. Längst hat Artus eingesehen, dass sein „Coach“ Merlin nichts ist als Einbildung, und jetzt dämmert ihm auch, dass sein illegitimer Sohn Mordred, der ihm angeblich den Thron streitig macht, bloß Chimäre ist. Guinevere wirft sich dem jungen Galahad (Wolfgang Gandler) an die Brust, und der entpuppt sich als aalglatter Demagoge heutigen Zuschnitts. „Liebe Freunde“, sagt er zum Volk und schwört es unter Jubel ein auf vermeintlich neue Wege, auf einen mehr als vagen neuen Geist – das hören wir so in jedem Wahlkampf. Wirkt nicht nur bei „den großen Buben mit den langen Schwertern“.

Für Artus dient das Schwert nur mehr als Gehstock. Kein Zweikampf, ein ungleichgewichtiges Streitgespräch zwischen ihm und dem neuen Volksliebling Galahad. Der Gral entpuppt sich als blecherner Pokal mit Spieluhr. „Das ist er nicht“, entrüstet sich Artus. „Aber so stellen sie ihn sich vor“, sagt der Realo, und: „Das Glauben überlasse ich anderen, ich verwalte das Mittelmaß.“

Aufführungen bis 29.11. – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

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