Gute Wanze, böse Ameise
SCHAUSPIELHAUS / DIE WANZE
06/09/21 Paul Shiptons Buch vom großmäulig-coolen Käferdetektiv Muldoon, vulgo Wanze, ist zum Kinderbuchklassiker für Volksschulkinder bis zur Mittelstufe avanciert. Da werden sich wohl zahlreiche Lehrer mit ihren Bildungsbefohlenen einen Abstecher ins Schauspielhaus Salzburg gönnen, so Corona es zulässt. Man kann ihnen das auch nur empfehlen.
Von Erhard Petzel
Die Anlage des Buches selbst fördert die hier gewählte Art der Umsetzung, da die Handlung aus der Ich-Perspektive des Käfers erzählt wird und von schnoddrigen Dialogen nur so strotzt. Mit Jakob Küchers Multifunktionstalent kommt in der Regie und Ausstattung Tabea Baumanns ein irrwitziger Aktionismus hinzu, der dem Schauspieler artistische Höchstleistungen und Stunt-Qualitäten abverlangt. Eine Augen- und Ohrenweide, der sich selbst die Leseschwächsten nicht entziehen werden können.
Zudem kann die Produktion an die Schule eingekauft werden und kommt mit einfachsten Mitteln aus. Ein Tisch mit Requisitensack, ein Stuhl, ein paar Kunststoffkräuter, das reicht für Dixies Bar, Ameisen- und Wespennest, Terrasse, Garten samt Teich und alle diese Räume überfliegenden Ereignisse. Sparsame Musikeinspielungen steigern sich bis zum Walkürenritt bei allgemein flacher Zitatslage. Käfer ist Kücher in pointierter Bewegung (wie alle anderen Rollen auch), sonst charakterisieren ihn Columbo-Mantel (der sich beliebig um- und ausschlagen lässt), schillernder Hut und knallbunte Krawatte. Zwei Teesiebe braucht er zur Darstellung der zuckersüchtigen Fliege Jake. Zwei Strümpfe werden zum entzweiten Regenwurm.
Freilich ist die Handlung auf einen Kernstrang verdichtet, was einerseits Verzicht auf nette Episoden bedeutet, andrerseits ein intensives und kompaktes Powerpaket ermöglicht, bei dem Längen oder gar Langeweile völlig undenkbar sind. Die One-man-Show eliminiert auch die Grashüpfer-Reporterin Wilma, sodass als positive weibliche Bezugsrolle die unverwechselbare Sängerin Clarissa verbleibt, der weißgefleckte Kopf der als aufständisch punzierten Individualisten im Ameisenhaufen. Herrliche Theatervorlagen schaffen natürlich die Bösen, unter diesen als schrägste Figur die irre Wespenkönigin.
Wer sich ohne literarische Vorbildung ins Theater setzt, kommt ohne Probleme auf seine Rechnung. Die straffe Handlung wird klar vermittelt, die moralischen Botschaften sind durchaus divergent, aktuelle Bezüge möglich, aber unter Problematik-Trivialisierungs-Vorbehalt zu stellen. Der wirklich Böse ist Krak, ein Ameisen-Offizier mit Garten-Herrschaftsgelüsten, die ihn zur Zusammenarbeit mit den Wespen und der Spinne bewegen. Er ist auch der klare Verräter an seiner Königin, indem er eine junge aufgebaut hat. Damit würden sich die Ameisen von einer mehr oder weniger akzeptierten Ordnungsmacht gemeinsam mit den bösen Verbündeten zur Garten-Tyrannei aufschwingen. Natürlich steuert alles auf ein Happy end zu und die Bösen werden besiegt.
Große Begeisterung im Publikum. Bei der Vorpremiere am Freitag (3.9.) war nur ein Kind da, aber wenn eine Geschichte gut ist und hervorragend erzählt wird, werden Erwachsene hemmungslos zu Kindern, freuen sich und amüsieren sich köstlich über die Volten, die in die ereignisreiche Spannung geschlagen werden. Jakob Kücher spielt bei der Schlussverbeugung noch einmal alle Rollen durch, die er in seiner Personalunion vereinigt hat, sodass man sich für bevorzugte Ideen und persönliche Vorlieben lautstark artikulieren kann. Heiter, wenn auch nicht unbedingt gescheiter verlässt man das Theater.