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LANDESTHEATER / BLAUER ALS SONST
09/04/21 Es gibt Stücke, da herrscht ideale Balance. Blauer als sonst gehört dazu. Da begegnen sich Theaterpädagoginnen und ihr junges Publikum akkurat auf Augenhöhe. Und das funktioniert, ohne dass eine Seite sich bücken oder die andere die Hälse recken müsste.
Von Reinhard Kriechbaum
Um die erste, die allererste Liebe geht es in dem Stück von von Eva Rottmann, das vom Salzburger Landestheater als Österreichische Erstaufführung vorerst online präsentiert wird. Um die ersten Schritte aufeinander zu. Die Suche nach ersten Gesprächsthemen. Das skrupulöse Warten auf den ersten Kuss. Und dann gibt’s da ja noch was...
Wir waren am Donnerstag (8.4.) bei der Generalprobe dabei, mit 46 weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Eher nicht solche von der unmittelbaren Zielgruppe (geschätzt 12 bis 15 Jahre), aber mehrheitlich doch noch blutjung. Das ist insofern von Bedeutung, als es in Blauer als sonst voll interaktiv zugeht. Erste Wortmeldung in der anschließenden Diskussion: Eine Dame stellte fest, dass sich seit ihrer Zeit wenig verändert habe in der Causa Erste Liebe. Stimmt. Die Flügelschläger der Schmetterlinge im Bauch sind ähnlich zaghaft und unsicher. Die Flugfähigkeit gleich eingeschränkt. Die technischen Mittel sind freilich anders. Was hätte unsereiner Anfang der 1970er Jahre gegeben für ein Handy, wär's damals schon erfunden gewesen! Und erst für einen Messenger mit Kamerafunktion! Auch nicht vorstellbar damals. Andrerseits: Wenn wir unserem besten Freund/unserer besten Freundin vom ersten Eh-schon-Wissen erzählt haben, waren unausweichliche Indiskretionen nicht ganz so schlimm wie im Gruppen-Chat.
Andrerseits. Irritationen gab's auch früher, wie wir in Blauer als sonst erfahren: Da agieren ja nicht nur Jule und Finn (Patrizia Unger und Aaron Röll) als zwei ur-sympathisch frisch Verliebte in rührend aufrichtiger Unbeholfenheit. Der Vater (Axel Meinhardt) ist einerseits stolz auf seinen flügge werdenden pubertären Sohn, andrerseits macht er sich – Vorsicht ist die Mutter der frühen Beziehungskiste – lieber selbst auf zum Kondom-Kauf. Wie aber die Schachtel diskret dem Sohn unterjubeln? Bei der Gelegenheit kommt es zur Wiederbegegnung mit der ehemaligen Jugendliebe, Frau Seidl (Tina Eberhardt). Das Nackt-Baden der beiden ist damals ganz blöd gelaufen, weil die Spezis Wind davon gekriegt haben. Ganz ohne Facebook.
Blauer als sonst erzählt in knappen, so lebensnahen wie schlichten Szenen von der Causa prima in diesem Alter. Alles irgendwie so ähnlich selbst erlebt. Weil es auf der Bühne derweilen nicht geht, ist das Stück für Zoom hergerichtet. Die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen live Kommentare abgeben, und manchmal wendet sich der Vater direkt an sie und startet eine Umfrage. Der erste Kuss, wenn ja, wann, und war's lustig/schön/eklig? Gewünschtes bitte ankreuzen. Ergebnis bei der Online-Generalprobe: Die Mehrheit von 34 Prozent küsste mit 14/15 zum ersten Mal (spät eigentlich). Für 29 Prozent war's schön. Und woher die Info zum Thema Sex überhaupt? Ankreuzmöglichkeiten zwischen „Eltern“ und „Pornos“. Mehrheitsmeinung: „Eltern auf gar keinen Fall!“
Und der Kondom-Kauf, anzukreuzen von „witzig“ bis „peinlich“: Für 68 Prozent „kein Problem“, und 71 Prozent gehen dazu in die Drogerie. Wahrscheinlich ist online deshalb zweite Wahl, weil's die Eltern mitbekämen. Nicht jede neuzeitliche Errungenschaft erleichtert das (Liebes)-Leben.
Hurtig erzählt werden die Episoden von Blauer als sonst. In die Bühnenszenen ist viel Chat-Zeug eingeschnitten, was für die jungen Leute gewiss Lebensnähe pur bedeutet. Nur in den „Umfragen“ steht der Betrieb, damit haben Soziologen wahrscheinlich mehr Freude als ausgefratschelte junge Theaterbesucher. Aber das ist die Ansicht eines im Vergleich zur Zielgruppe hochbetagten Rezensenten. Die Theaterpädagogin und neue Jugendtheater-Leiterin Anna Lukassrr-Weitlaner trifft wohl ganz genau den Tonfall ihrer „Kundschaft“.