Die Wirtsstube wird zur Wolfsschlucht
LANDESTHEATER / FREISCHÜTZ
11/01/10 Musiklehrer dürfen sich glücklich schätzen: Es gibt wieder einen "Freischütz" in Salzburg. Die "deutsche Musteroper" ist endlich wieder mehr als Schulbuch-Stoff.Von Reinhard Kriechbaum
Tatsächlich hat es über Jahrzehnte keinen "Freischütz" in Salzburg gegeben (nur vor anderthalb Jahren bei den Festspielen). Höchste Zeit also - schließlich gehört diese Oper zur musikalischen Allgemeinbildung. Generationen von Schülern sind drum umgefallen. Vielleicht werden sie sich ein bisserl wundern, wenn die Leute in karierten englischen Hosen herumrennen, aber das gehört zum Konzept von Annilese Miskimmon (Regie) und Simon Lima Holdsworth (Ausstattung): Die Handlung spielt in einer ein bisserl altmodischen Bürgergesellschaft, der man jederzeit zutraut, dass sie zur Fuchsjagd aufbräche. Es geht aber doch nur um den Scharfschuss um des Erbförsters Töchterlein Agathe. Die Mischung von Jagdgesellschaft und urbaner Lebensart hat Witz. Es wird immerhin deutlich, dass die Regisseurin darauf hinzielt, dass die alten Werte hier nicht mehr so recht funktionieren. Das wäre ein guter, plausibler Ansatz für eine "Freischütz"-Deutung.
Statt einer Försterstube ein Wirtshaus mit Neonröhren-Beleuchtung, mit Glas-Fassade zum Wald hin. Das sieht ein bisserl aus, als ob Anne Viebrock ein Bühnenbild für Christoph Marthaler erdacht hätte. Dem wäre auch die Idee zuzutrauen, die Wolfsschlucht-Szene im Wirtshaus spielen zu lassen. Die Freikugeln werden also in jenem Blech-Mistkübel gegossen, in dem Ännchen kurz zuvor das von der Wand gefallene Bild des Förster-Urahns versenkt hat. Das könnte psychologisch tief greifen, bleibt aber nur ein technisch aufwändiges, pyromanisches Spektakel. So leicht plagiiert man Marthaler dann doch nicht.
Im Prinzip wird die Geschichte geradlinig erzählt. Eine eigenwillige Idee ist bloß noch, dass der scheinbar geläuterte und auf ein Probejahr vergatterte unglückliche Schütze Max am Ende sein Hemd ausziehen muss. Das Publikum sieht auf seinem nackten Rücken die in die Haut gebrannte Ziffer "Sieben". Max wird also auch nach der verspäteten Heirat mit Agathe ein teuflisch Gezeichneter sein!
So weit, so schlicht. Trägt die Musik über die etwas bemüht wirkende Szene hinweg? Leo Hussain legt sich mächtig ins Zeug, da züngeln die Wolfsschlucht-Flammen schon von der Ouvertüre weg immer wieder auf. Ein wenig kantig legt der Salzburger Opernchef die Sache an, und irgendwie hat man den Eindruck, dass er dabei immer haarscharf an den eigentlich rechten Tempi vorbei schrammt und den Atemfluss verliert. Schnelles kommt allzu temperaments-schwanger, das Lyrische hingegen verliert stark an Spannung. Ehrlich gesagt: Dieser "Freischütz" zieht sich. Das Mozarteumorchester macht seine Sache freilich gut, den Raum füllend, aber ihn nicht sprengend. Große romantische Oper geht im kleinen Salzburger Landestheater: Das ist eine Erkenntnis, die man ruhig weiterdenken sollte.
Mit Daniel Kirch hat man einen Max, der einen hellen, gut fokussierten Tenor mitbringt. Dieser Max ist auch Hobbyjäger wie manch anderer auch. Er wirkt, als ob er das Gewehr nach der Matura zum Geschenk bekommen hätte. Der böse Kaspar (Marcell Bakonyi), der ihn zum Gießen der Freikugeln überredet, ist ein patenter Kerl. Sprache ist wichtig und die beiden singen und sprechen wortdeutlich, so wie Franz Supper (Fürst Ottokar) und Simon Schnorr (Kilian). Von den beiden Damen - Julianne Borg (Agathe) und Karolína Plicková (Ännchen) - ist hingegen kein Wort zu verstehen. Dass das im Verlauf der Proben niemandem aufgefallen sein sollte?
Cornelius Hauptmann produziert als Eremit viel vokalen Nebel. Stefan Cerny (Kuno) war am Premierenabend als indisponiert entschuldigt, machte seine Sache aber sehr viel besser als manch anderer im Ensemble.
Der Chor ist nicht nur reizvoll eingekleidet und von der Regie liebevoll geführt: Da wird elegant, beweglich und vor allem homogen gesungen, und das ist - neben der sängerischen Leistung des Max - eigentlich die einzige rundum positive Leistung des Abends.