Wiener Frauen und die Damen von St. Petersburg
LANDESTHEATER / SILVESTERKONZERT
02/01/20 Seine Souveränität im Umgang mit der großen Form hat er mit dem rundum überzeugenden Lohengrin in der Felsenreitschule beeindruckend demonstriert. Im Umgang mit der kleinen Form hat sich Leslie Suganandarajah, der neue Musikdirektor des Landestheaters, mehr Zurückhaltung auferlegt als nötig. Die Walzer-Raritäten kamen nicht nur aus Wien.
Von Heidemarie Klabacher
Das Silvesterkonzert des Landestheaters mit dem Mozarteumorchester unter der Leitung von Leslie Suganandarajah im Großen Festspielhaus begann im verschneiten Russland und einem ambitionierten, so vielfältigen wie anspruchsvollen Streifzug durch winterliche Landschaften, Salons und Bars. Wer rechnet schon damit, ausgerechnet bei einer Silvestergala einem ausgesprochen selten gespielten Stück wie dem ersten Satz aus der Symphonie Nr. 1 g-Moll op. 13 Winterträume von Peter I. Tschaikowsky zu begegnen? Vom Aufsteigen winterlicher Nebel bis zum Gleißen schneebedeckter Kirchturmspitzen oder Bergesgipfeln – die durchaus ihre schroffen Abseiten haben: Leslie Suganandarajah und das Mozarteumorchester haben den Traum von einer Winterreise, ein facettenreiches Allegro tranquillo, mit großen Linien und feinen Klängen in vielen Farben aufstrahlen lassen. Wie aufregend zahlreiche Details, wie etwa die sich verschiebenden Reibungen im Horn-Satz über Cello-Kantilene.
Den bekannten Walzern aus Dornröschen und Nussknacker hätte man, imaginäre Tänzerinnen und Tänzer vor Augen, eine Spur mehr Impetus und Drive gewünscht. Das gilt auch – selbst wenn Konzertwalzer nicht grundsätzlich zum Tanzen gedacht sind – für den Walzer Wiener Frauen: Damit hat Johann Strauß Sohn 1887 eine Komposition für Wien recycelt, die im Jahr zuvor unter dem Titel Damen von St. Petersburg an der Newa Zustimmung gefunden hat.
Zustimmung im Großen Festspielhaus gefunden hat auch der Sirenenklänge-Walzer der vierzehjährigen Alma Deutscher, die seit frühester Kindheit als „Komponistin“ und Solistin gehypt wird. Das Mozarteumorchester und Leslie Suganandarajah haben der durchaus originellen Einleitung, die sehr geschickt eine moderne Großstadt-Straßenszene abbildet, ebenso ihre gesamte Kompetenz geschenkt, wie der langatmigen Walzerfolge: Auch durch die Umsetzung durch liebenswert engagiert musizierende Profis von Rang kann das rein Epigonenhafte dieser „Komposition“ nicht verschleiert werden. Es ist ein Kind, das das schreibt. Das ist zu bewundern. Es ist aber auch ein Kind, das da verheizt wird: Dies wurde noch dramatisch deutlicher, als Alma Deutscher als Geigensolisten den dritten Satz ihres eigenen Konzerts für Violine und Orchester spielte. Sagen wir es so: Für die heute Vierzehnjährige war die Arbeit der damals Neunjährigen jedenfalls technisch deutlich überfordernd. Vermutlich spielen nicht wenige junge Studenten vom PreCollege der Universität Mozarteum diesen Verschnitt aus Spohr und Viotti mindestens ebenso souverän, wenn nicht vielleicht sogar „musikantischer“ und nicht so spürbar auf die Erreichung vorausgeplanter Effekte hin ausgelegt. Respekt und Mitleid mischten sich – zu Gunsten des Mitleids – angesichts dieser Performance.
Nur ein wenig vertrieben wurde der Nachgeschmack dieses Streiflichts auf ein gnadenloses Vermarkten eines sicherlich außergewöhnlichen Mehrfach-Talents durch Eduard Strauß' op. 283 und Carl Michael Ziehrer op. 518: Die Musik-Industrie ist keine pure Vergnügungszug-Polka. Und nicht wenig mitzureden haben die Schätzmeister.
Bilder:dpk-klaba
Zum Kommentar Eine Greta Thumberg der Kultur