Chaos pur mit einem Schuss Star Wars
LANDESTHEATER / VIVA LA DIVA
09/02/20 Und täglich grüßt das Chaos auf den Brettern der ganzen Welt, die Oper ist. Donizettis Viva la Mamma wird am Landestheater zu Viva la Diva – ein weiterer Musikbühnenklamauk-Klassiker in dieser Saison mit Travestie und Theatertrash, inszeniert von dem Briten Stephen Medcalf.
Von Erhard Petzel
Schon im Programmheft wird die Liebe und Akribie deutlich, die das Haus seinem jüngsten Kind angedeihen lässt. Donizettis Buffa-Oper Le convenienze ed inconvenienze teatrali nach einer Dichtung von Antonio Simeone Sografi, bekannt geworden unter dem Titel Viva la Mamma, zeigt sich in der Fassung von Andreas Fladvad-Geier und Stephan Medcalf sowie in der Regie von Stephen Medcalf frisch durchlüftet und in seiner Zeitlosigkeit der Satire auf den Theaterbetrieb in die Jetztzeit versetzt. Unter Viva la Diva scheint im Programmheft die Realität des Landestheaterbetriebs auf, in der Umkehrung hingegen Galliano Dozzinettis Romolo ed Ersilia von der Stagione Opera Lunatica. Die Namen sind bei letzterer sprechender, ansonsten verschwimmen die Unterschiede.
Der treue Freund des Hauses wird dem Realbetrieb bescheinigen, stets zumindest die handlungstragenden Rollen für seine Produktionen halten zu können, während im altrömischen Spiel um Herrschaft und Liebe gerade einmal das zentrale Terzett mit Ach und Krach besetzt ist, sich dafür Agatha Alcock-Klein als Faktotum und Helikopter-Mamma mittels Erpressung und Penetranz in einer unnötigen Nebenrolle mit Hauptarie herein zwängt. George Humphreys gibt mit seinem schlanken Bariton eine in ihrer Respektabilität fein ziselierte Mamma, wirksam mehr aus selbstbewusstem Manierismus als durch Stimmkraft, und verleiht der Figur ohne billiges Outrieren damenhafte Eleganz jenseits des Drag-Queen-Glamours. Gegen den Gatten der Primadonna anzugehen hilft auch die schiere Körpergröße, die zum intriganten Selbstbewusstsein zusätzliche Präsenz verschafft.
Herrlich größenwahnsinnig Raimundas Juzuitis als Sergej Prokoloff, ein erfolgreicher russischer Unternehmer, der seine Gattin auf ihrem Karriereweg als Primadonna begleitet und mit mafiöser Gewalt unterstützt, unter der Dusche seine Stimme entdeckt, auf YouTube-Tutorials diese entwickelt und nach Abziehen des beleidigten Tenors in der Produktion mit seinem fulminanten Bassbariton dessen Part übernimmt. Für das gemeinsame Schoßhündchen nimmt er gegen seine Tierhaarallergie Medikamente. Apropos Contessa: Man erinnert sich an die medialen Aufrufe zum Hunde-Casting. Bobby ist eine braunfellige Inkarnation des Phlegmas, das selbst ein Ende als plattgepresstes Tablett übersteht. Allein diese Details zeigen schon, mit welchem Aufwand Donizetti bearbeitet wurde. Das Osteuropa-Kolorit zieht sich durch den gesamten Theaterbetrieb, sprachliche Nuancierung inklusive.
Anne-Fleur Werner als überzeugende Primadonna Corinna von und zu Hochkrähenstein, Hazel McBain als Luisa Klein, Yevheniy Kapitula als Theaterdirektor Abzockolov, Samuel Pantcheff als Regisseur Simon Fuller-Bull, Zsófia Mózer und Gustavo Quaresma in Sängerrollen bis zur Korrepetitorin Lee haben ihre ausgefeilten Auftritte mit Witz und Verve, der die von Donizetti angelegte Parodie mit ihren klassischen Zitaten erfüllt und erweitert. So schmettert Franz(-Joseph von) Supper(sberger), stimmlich endlich genesen, „Dein ist mein ganzes Herz“. Nützen wird es ihm nichts. Er bleibt trotz Abgangs des dümmlichen Operntenors auf die Rolle des Inspizienten reduziert. Herrlich der Männerchor in seiner plastik-plastischen Legionärsromantik (Kostüme Yannis Thavoris).
Beginnend mit dem Castingvorgang, erfolgen Zeitsprünge im Zuge der Produktion der überernsten Oper. Das bedingt zwei so funktionelle wie plastische Räume. Zunächst der klassizistische Proberaum mit Modell der künftigen Bühne, dann diese in ihrem Aufbau mit Jupiterkopf und Bühnenrampenschwert aus Oberammergau (dort gibt’s ja auch Römer). Jupiter als Hängeplanet vor Sternenhintergrund und neben einer Wodkaflaschen-Sponsoren-Rakete wird nach einem Polizeieinsatz zur finalen Abrissbirne. Also Chaos pur statt des originalen Happy Ends für die Generation nach und mit Star Wars. Man lernt den Regisseur Stephen Medcalf, der im Landestheater bereits die Opern Albert Herring, Ariadne auf Naxos und Tod in Venedig inszeniert hat, von einer völlig anderen Seite kennen. Unter und über allem das prächtige Orchester unter der umsichtigen Leitung Adrian Kellys.