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Die Wirbel der Zeit

 

SOMMERSZENE / ROSAS

30/06/14 Ein Schlüsselwerk neuer Musik wie Gérard Griseys Ensemblestück „Vortex Temporum“ in Bewegungstheater umzusetzen, ist schwierig. Doch Anne Teresa de Keersmaeker hat dies mit ihrer Gruppe Rosas in faszinierender Weise geschafft und bleibt in ihrer Version in jedem Takt am Pulsschlag der Musik.

Von Gottfried Franz Kasparek

Grisey lebte von 1946 bis 1998 und war der bedeutendste Komponist des französischen Spektralismus. Sein persönliches musikalisches Credo lautete, hier leicht verkürzt wiedergegeben: „Wir sind Musiker und unser Modell ist der Klang und nicht die Literatur, der Klang und nicht die Mathematik, der Klang und nicht das Theater, die bildenden Künste, die Quantenphysik, die Geologie …“ Programm-Musik sucht man in Griseys Werk zunächst vergeblich. Oder hat es doch etwas zu bedeuten, wenn er, neben einem verminderten Septakkord, als eines von nur zwei Materialien in „Vortex Temporum“ ein Motiv aus Maurice Ravels Ballett „Daphnis et Chloé“ verwendet? Dem Komponisten waren andere Dinge wichtiger: „Ein Ton wird zur Klangfarbe, ein Akkord zum Spektralkomplex und ein Rhythmus zu einer Welle von unvorhersehbarer Dauer.“ Der von den Spektralisten verehrte Ravel freilich schrieb vom Griechenland seiner Träume, einer „reinen“ Welt der Farben und Wellen.

De Keersmaeker lässt ihre choreographische Phantasie wie ein Konzert beginnen. Die Mitglieder des Ensembles Ictus sitzen im Halbkreis neben dem Klavier und spielen, eine gewaltige Konzentrationsleistung, auswendig den Beginn des Stücks. Der jedem Viertelton nachspürende, nachhorchende, exquisit akzentuierende, rhythmisch mitreißende Pianist Jean-Luc Plouvier ist nicht nur famoser Musiker, sondern auch origineller Performer. Flötistin, Klarinettist, Geiger, Bratscher und der sogar mitunter im Gehen spielende Cellist sind dies ebenso und jede, jeder, auch aus der Tanzgruppe, hätte sich persönliche Nennung verdient. In der Klavierkadenz bleibt der Pianist allein, was er spielt, ist von schrägem Jazz nicht weit entfernt. Als er entschwindet, erscheinen die tanzenden Menschen, entfernen die Sessel und bilden ein zunächst musikloses, aber das eben Gehörte nachzeichnendes Spiegelbild der Musikgruppe.

Der Pianist kommt wieder, später die anderen Musiker, erstaunlicher Weise immer noch ohne Noten. Des Pianisten alter ego darf sogar einmal in die Tasten greifen. Spiel und Tanz vereinigen sich zu wirbelnden Kreisen. Weiß begrenzte Waben am Boden sind wie die Spektren des Lebens. Alle Akrobatik wird nie zum Selbstzweck, sondern bleibt im Banne der zunehmenden musikalischen Komplexität. Musizierende und tanzende Menschen ergeben tatsächlich „reine Welten der Farben und Wellen“. Das Lichtdesign von De Keersmaeker und Luc Schaltin ist einfach, zwingend, ohne Mätzchen.

Das Klavier beginnt, geschoben vom sich später als Dirigenten entpuppenden Georges-Elie Octors, durch den Raum zu wandern, samt mitwanderndem und spielenden Pianisten, bis sich das Musikensemble im Hintergrund nun doch hinter Pulten versammelt und zum emotionalen Höhepunkt des Stücks vordringt, wenn aus dem Spiel der Wellen geheimnisvoll leuchtend Streicherkantilenen lyrische Mitte finden.

Wundersam, wie grundmusikalisch die Tanzgruppe darauf reagiert, wie sich alles noch mehr verdichtet – bis hin zum ruhevoll verlöschenden Finale. Am Ende bleibt im Dunkel noch ein paar stumme Takte lang die Zeichen setzende Hand des Dirigenten sichtbar. Großer Jubel im „republic“ nach einer erfüllten Stunde musikalischen Theaters.

Demnächst auf der Sommereszene: „Die Rabtaldirndln“ haben heute Montag (30.6.) tagsüber in der Stadtbibliothek ihre „Mobile Ambulanz“ eröffnet, in der sie am 1. Juli ab 14 Uhr auf dem Alten Markt ordinieren, am 2. Juli ebenfalls ab 14 Uhr im Freibad Leopoldskron und am 3. Juli von 9 bis 13 Uhr auf der Schranne. - Wer sich durch die absolut unleserliche gelbe Schrift des Programmbuchs kämpft, kommt drauf, dass heute und morgen (30.6./1.7.) um 20 Uhr in der ARGEkultur Ivana Müller ihre „Positions“ zeigt. -  szene-salzburg.net/de/sommerszene
Bilder: Szene / Anne Van Aerschot

 

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