Unheimelig heimelig
SOMMERSZENE / PEEPING TOM / VADAR
25/06/14 Moskito-Bisse? Vierhundert Euro die Woche und Moskito-Bisse? Die alte Dame mit der Geige reibt sich verstohlen das Knie. Die junge Pflegerin kratzt sich den Arm blutig. Und Leo - einer der reichsten Männer Belgiens und jetzt nur mehr Bewohner einer absurd-vornehmen Seniorenresidenz – hat auch Insektenbisse überall. Aus den Schlägen nach den imaginären Mücken wird ein fulminantes Schlagzeugsolo.
Von Heidemarie Klabacher
Die belgische Gruppe Peeping Tom hat mit ihrer neuen Produktion „Vader“ am Mittwoch (25.6.) die Sommerszene 2014 eröffnet. Ein fulminanter Wurf! Einsamkeit im Alter. Abgeschoben-Sein. Goldene Erinnerungen der Alten. Schlechtes Gewissen der Jungen. Aggressive oder auch liebevolle Pflegerinnen und Pfleger: Brandaktuelle gesellschaftliche und sozialpolitische Themen greifen Peeping Tom in „Vadar“ auf. Angesichts des ernsten Themas staunt man über die leichte Hand: Immer wieder werden Witz und Ironie herbei und rechtzeitig wieder weg gewunken. So entstehen weder Klamauk-Komödie noch Sozial-Tragödie. Vielmehr brechen immer wieder surreale Momente in den Heimalltag ein. Die Pflegerinnen und Pfleger – das Solistenteam – heben mit ihren fulminanten Soloeinlagen die Realität immer wieder aus den Angeln.
Ein riesiger Speisesaal ist der Schauplatz, der überdimensionale Besen erfordert, wenn man die obersten Fenster auch einmal putzen will. Dafür dringt dann auch die Sonne durch die gereinigten Scheiben - und die alten Leutchen drängen sich im Lichte der kostbaren Strahlen. Der Sohn Leos, auch schon ein gesetzter Herr, zerrt den alten Vater weg vom Klavier. Er hat nur dreißig Minuten Zeit für einen Spaziergang, und der Vater ist nicht richtig angezogen, andere Heimbewohner tragen sein Hemd und seine Hose – „obwohl sie ihnen überhaupt nicht passen“.
Irgendwann fummeln alle die älteren Damen an ihren Schuhen herum und die junge Besucherin legt mit ihrem Versuch, die schwarzen Pumps auszuziehen ein grandioses Solo hin. Die Solisten – Hun-Mok Jung, Marie Gyselbrecht, Maria Carolina Vieira, Yi-Chun Liu und Brandon Lagaert – sind das Pflege- und Betreuungspersonal im Seniorenheim der Gespenster. Der Sänger und Maler Leo de Beul ist der Senior Leo: Er vermag so gebrechlich und verloren zu wirken, dass man meint, die Performance ist doch etwas harsch für den fragilen alten Herrn. „Geh’ normal, sonst kriegst du keine Freundin“, mahnt Leos Sohn den schwer gebeugt daher tappenden Vater. Die Drohung wirkt: Im nächsten Augenblick tänzelt Leo so heiter, dass die Damen seiner Gesellschaft ins Seufzen geraten.
Leos Sohn Simon ist der Schauspieler Simon Versnel, der etwa auch in Jan Lauwers Needcompany mitgewirkt hat. Die weiteren charismatischen Seniorinnen und Senioren sind Darstellerinnen und Darsteller aus Salzburg, die vom Regie-Team Franck Chartier und Gabriela Carrizo gecastet und in die Österreichische Erstaufführung von „Vadar“ eingebunden worden sind.
Die Leinwand, auf der Peeping Tom ihren Kosmos malen, ist auch diesmal in einen durchaus realen Rahmen gespannt. Doch die scheinbar alltäglichen Handlungen kippen immer wieder ins Surreale. Was das den für eine Suppe sei, fragt Leo die Schwester, um auf die Antwort „Hühnersuppe“ mit überzeugendem Gackern den ganzen Speisesaal in einen Hühnerhof mit peckenden und gluckenden Bewohnern zu verwandeln. Später taucht auf Antwort „Thai-Suppe“ der Kopf der Performerin Yi-Chun Liu aus dem überdimensionalen Suppentopf auf.
All das geschieht mit leichter Hand, en passent. Keines der absurden Motive wird breit ausgewälzt. In dieser Leichtigkeit liegt die suggestive Wirkung von „Vadar“, dem ersten Teil der geplanten Trilogie „Vater, Mutter, Kind“, in der Peeping Tom familiären Beziehungen nachspüren. 2007 waren Peeping Tom zum ersten Mal in Salzburg und haben mit der Produktion „Le Salon“ den Young Directors Award der Salzburger Festspiele gewonnen.