Die Wut über die verlorene Kopeke
KULTURVEREINIGUNG / WDR SINFONIEORCHESTER
22/05/14 Drei Tage lang ist jetzt das WDR-Sinfonieorchester aus Köln im Großen Festspielhaus zu Gast, wie im Vorjahr unter seinem Chefdirigenten Jukka-Pekka Sarastre. Diesmal mit Ludwig van Beethoven, in Dmitri Schostakowitschs Erstem Klavierkonzert getoppt durch Solist Jean-Yves Thibaudet.
Von Horst Reischenböck
Ein bereits fulminanter Einstieg, kaum besser als Zyklus-Auftakt zu programmieren: die „Egmont“-Ouvertüre op. 84. Sie wurde zur Wiener Erstaufführung der Tragödie bestellt und von Beethoven, aus Verehrung für Johann Wolfgang von Goethe, honorarfrei (!) geliefert. Das Kölner Rundfunkorchester, längst in internationaler Oberliga beheimatet, ging sehnig und mit perfektem Hornquartett darin auf. Jukka-Pekka Sarastre hat es bis in den fiebernd schnell abschließenden Triumph über Tyrannei hinein beflügelt.
Das c-Moll-Konzert für Klavier, Trompete und Streicher op. 35 von Schostakowitsch wirkt vor allem in den Ecksätzen immer noch rotzfrech. Mit dem Stück reüssierte sein Schöpfer auch als auch veritabler Pianist – so, dass ihn sein Kollege Serge Prokofjev damit nach Paris einlud. Wäre Schostakowitsch drauf eingestiegen, wäre er vielleicht dem nachfolgenden Leidensweg entgangen. Als Werk dem anschließend lange in seiner Heimat verpönten westlichem Neoklassizismus verpflichtet, ist das Stück auch ein Beweis dafür, dass Schostakowitsch damals noch nicht von ausländischen Einflüssen abgeschottet war.
Der langsame Walzer inmitten erinnert spontan an Maurice Ravels G-Dur-Gegenstück, von fern grüßt Igor Strawinsky mit „Petruschkas“ Trompete. Bewusst nicht „konzertierend“ oder begleitender Partner, eher daneben her und im Pasticcio-Finale von Peter Moenkediek als sarkastische Aufforderung zum letzten C-Dur-Halali geblasen. Mehr noch ist die Wiener Klassik präsent: mit Bezug auf Joseph Haydns Humor der D-Dur-Klaviersonate Hob.XVI:37, vor allem aber dem in der UdSSR als Revolutionär angesehenen Beethoven. Wobei sich die auf Wunsch von Lev Oborin vor Schluss eingefügte Kadenz ironisch wie eine „Wut über die verlorene Kopeke“ auslässt. Der Franzose Jean-Yves Thibaudet machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, zauberte sowohl virtuos wie kraftvoll aus dem Steinway die mit ihren vertrackten Tempowechseln brillant einkomponierte Mischung aus Persiflage, banal zu deutender Parodie und auch Jazz-Elementen. Darin aufmerksamst vom Dirigenten assistiert.
Jukka-Pekka Sarastre spürte nach der Pause mit Bezug auf Beethovens mittlerweile anerkannte Metronom-Angaben dessen durchgängig sich steigender Freude in der 7. Sinfonie in A-Dur, op. 92 schlüssig nach. Vom Beginn an spannungsgeladen, mit den tonschön die eingemischten Holzbläsern, bevor vital der unausweichliche Sog ausbrach. Melancholisch angehaucht wirkte der Diskurs im hier entsprechend zügig genommenen Allegretto, fulminant ausgespielt und gesteigert das Scherzo und Finale. Die Interpretation wurde entsprechend begeistert aufgenommen. Ähnlich wie 1813, allerdings als Ausdruck des Siegs über Napoleon in der Schlacht von Hanau missverstanden, als erste Beethoven-Sinfonie überhaupt spontan bejubelt.
Die satt getönten Streicher durften danach nochmals ihre exorbitanten Qualitäten beweisen: in Sarastres differenzierter Reminiszenz an finnische Wurzeln, Jean Sibelius' Valse triste op. 44 Nr. 3 aus der Bühnenmusik zu Arvid Järnefelds „Kuolema“ (Tod).