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Sag dir, dass dir die Welt gehört

LANDESTHEATER / ÉMILIE

26/05/14 „Was wäre die Welt, ohne den Zustand der Illusion?“ Émilie du Chatelet, 1706 bis 1749, war die erste große Mathematikerin und Physikerin Europas. Sie hat Newtons „Principia Matematica“ ins Französische übersetzt, aber auch Vergils „Aeneis“. Angst hatte sie vor dem Tod -  aber mehr noch, vor dem Vergessenwerden. Die finnische Komponistin Kaija Saariaho hat eine Oper über Émilie du Chatelet geschrieben.

Von Heidemarie Klabacher

Wenige Tage vor ihrem Tod schreibt die schwangere Émilie du Chatelet einen Brief an ihren jungen Geliebten, der sich ihr immer mehr entzieht. Die Oper „Émilie“ erzählt dennoch viel mehr, als nur die traurige Geschichte einer verlassenen Frau. Denn diese französische Aristokratin war die herausragendste Naturwissenschaftlerin ihrer Zeit. Sie war gebildet in den Alten Sprachen, ausgebildet in der Musik, trainiert als Reiterin und Fechterin – und sie war eben auch eine Freundin berühmter Männer. Mit Francois Marie Arouet – Voltaire - verband sie eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, vor allem aber eine enge wissenschaftliche Zusammenarbeit. Sie schrieb ein Lehrbuch der Physik, übersetzte und kommentierte Issac Newtons „Principia Matematica“ – und sieverliebte sich mit 42 Jahren in den zehn Jahre jüngeren Saint-Lambert.

An ihn schreibt sie zu Beginn der Oper „Émilie“ einen Brief, schreibt von ihrer Todesahnung (tatsächlich stirbt sie wenige Tage nach der Geburt des Kindes) und ihrer Todesangst. Das Libretto von Amin Maalouf, der auch den Text zu Saariahos Oper „L'amour de loin“ geschrieben hat, changiert mit vielen Originalzitaten zwischen Briefschreiben und innerem Monolog.

Wie eine abgeworfene Schale bleiben Reifrock und Mieder – steif und glänzend wie Teile einer Rüstung – alsbald im grauen Stadtpalais zurück. Den Großteil der gut siebzig Minuten dauernden Einpersonen-Oper begleitet man als Zuseher die Wissenschaftlerin quasi auf einer Exkursion. Ein aus Holzplanken zusammen gezimmerter Berg ist der Schauplatz.

Ein geheimnisvoller Berg, eher eine innere Landschaft, mit Nischen und geheimen Fächern, die Symbole von Émilies Sehnsüchten und Ängsten bergen.

In neun Szenen lässt der libanesische Schriftsteller und Journalist Amin Maalouf in seinem Libretto die Protagonistin in Rückblicken über ihr Leben, Arbeiten und Lieben erzählen. Die Angst vor dem Tod und dem Vergessen werden und eine angesichts der fortgeschrittenen Schwangerschaft sehr konkrete Todesahnung bilden quasi die inhaltliche Klammer. In Zitaten wird zentrale Beziehung von Émilie und Voltaire lebendig. Erstaunlicher Weise ist da sogar Platz für Ironie: „Ich gebe zu, dass sie ein Tyrann ist. Um ihr den Hof zum machen, muss man über Metaphysik sprechen.“

Dem gegenüber stehen die Gedankenflüge Émilies in ihr „Königreich des Wissens“, das grenzenlos war und von den Fragen nach der Beschaffenheit der Sonne oder der Astronomie bis zur Metaphysik reichte. Immer wieder wird der gegenwärtige Geliebte angesprochen: Da nimmt Émilie die Feder in die Hand – und das Schlagzeug macht die Geräusche der Feder auf dem Papier hörbar.

Sag dir, dass dir die Welt gehört, meine Tochter, wenn du nur den Mut hast, sie zu erobern.“ Bewegend ist die Rede Émilies an ihr ungeborenes Kind und die Beschwörung der Erinnerung an ihren eigenen fördernden Vater: „Deine Stimme war die Brise, die in das Segel meines zerbrechliche Floßes bließ…“ Die Wort- und Symbolspiele mit Weltkugel und Kugelbauch bzw. mit Erdanziehungskraft (Gravitation) und Schwangerschaft (Gravidität) sind vielleicht ein wenig schwer-sinning ausgefallen. In Summe ist die Regie und Personenführung von Agnessa Nefjodov schnörkellos und geradlinig.

Die Mezzosopranistin Allison Cook läßt die wechselnden Stimmungen ihrer Figur darstellerisch eindrücklich und stimmlich souverän spürbar werden. Angriffig und präzise in den aufgewühlten dramatischen, mit großer Linie in den verinnerlichten Szenen setzt sie die expressive Musik Kija Saariahos um. Die Mitglieder des Mozarteumorchesters unter der Leitung von Leo Hussain unterstützen die Solistin in ihrem Monolog mit kammermusikalischer Transparenz und Präzision bei großer facettenreicher Klangsinnlichkeit. „Émilie“ ist die dritte Oper Kaija Saariahos, 2000 wurde ihr erstes Bühnenwerk „L'amour de loin“ bei den Salzburger Festspielen urauffgeführt.

Émilie - weitere Aufführungen im Landestheater bis 10. Juni - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Christina Canaval

 

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