Substandard mit Segelboot
LANDESTHEATER / ARIODANTE
29/04/13 Die Ouvertüre klang so, als hätten sie anno 1970 zum ersten Mal „Barock“ buchstabiert, doch in der zweiten Hälfte der Händel-Oper „Ariodante“ sprach das Mozarteumorchester unter Christian Curnyn wieder mit allen Zungen der Klangrede. Die Inszenierung von Johannes Schütz war und blieb vom ersten bis zum letzen Bild ein Trauerspiel an vergammelter Beliebigkeit.
Von Heidemarie Klabacher
Happy-End in der ersten Szene – das kann nicht gut gehen. Der alte König gibt überglücklich die Verlobung seiner Tochter Ginevra mit dem Prinzen Ariodante und zugleich seinen Thronverzicht bekannt. Jubel und Fanfaren klingen seltsam leer und hohl. Die Prinzessin lässt angewidert die Tätscheleien des Vaters über sich ergehen und wirkt wenig glücklich, der künftige junge König verwirrt und verunsichert. Zusammen mit der ebenso verwinkelten wie vergammelten Substandard-Wohnung von Bühnenbildner und Regisseur Johannes Schütz entsteht zu Beginn der Oper „Ariodante“ am Landestheater ein abstoßendes, aber immerhin stimmiges und spannungsgeladenes Szenario vom Vorabend einer Katastrophe.
Doch von dieser Spannung wird nichts eingelöst. Zu nimmt nur die Langeweile. Die Regie verzettelt sich in einer unendlichen beliebigen Szenenfolge von Kaffee kochen, einschenken, servieren, ausschütten, aufwischen, Kühlschrank plündern und Drinks mixen. So einen Drink hätte man zwischendurch auch vertragen. Dienerin Dalinda, im Nebenberuf Sopranistin, wäre sicher gerne gefällig gewesen.
Stattdessen tritt auf der Intrigant: Ariodantes Nebenbuhler – Polinesso heißt er – kommt aus dem Verschlag unter der Stiege hervor, in dem im englischen Krimi immer die Leichen zwischengelagert werden. Er verführt die in ihn schwer verliebe Dalinda zu einem perfiden Spiel: Sie soll sich als blonde Ginevra verkleiden und als solche den „Liebhaber“ Polinesso empfangen. Augenzeuge ist zufällig Ariodantes Bruder. Ariodante versucht, sich umzubringen, überlebt aber und beobachtet versteckt im Rumpf des Segelbootes im Hinterzimmer (echt wahr!), wie sich die Sache zum „Guten“ entwickelt. Ob die Stiegen- und Fenstersituation des Bühnenbildes an ausweglose Escher-Labyrinthe erinnern soll, oder einfach von mangelndem Verständnis für Architektur (WC in der Zwischenwand) zeugt, kann nicht entschieden werden.
Leider gab das Publikum bei der Premiere am Freitag (26.4.) dem Regisseur und Bühnenbildner Johannes Schütz die Genugtuung, beim Schluss-Applaus mit einem Buh-Orkan empfangen zu werden. Schütz kann jetzt in seine Künstlerbiographie schreiben, wie billig er einen „Skandal“ in der Provinzstadt an der Salzach bekommen hat.
Beherzte Buh-Rufer hatten zuvor schon versucht, mit ihren Einwürfen eine recht direkte Inzest-Missbrauchs-Oralsex-Szene zu beenden. Doch solche Störaktionen gehen immer auf Kosten der Ausführenden, die in allen Partien Hervorragendes geleistet haben.
Karolina Plicková sang die Prinzessin Ginevra stimmlich klangvoll und reich timbriert, mit weit gespannten in der Höhe aufblühenden Melodiebögen, dabei beweglich und wendig in den Koloraturen. Darstellerisch ist Karolina Plicková eine große Tragödin, die mit Zurückhaltung und Understatement zu fesseln weiß. Tamara Gura verlieh dem Prinzen Ariodante alle Farben ihres dunkelsamtig changierenden Timbres. Die Stimme klang ein wenig stärker fokussiert, als in den Rollen, in denen man sie bisher am Landestheater hören konnte, profunde Tiefe und souveräne Mittellage wirkten heller und waren gekrönt mit feinen strahlenden Glanzlichtern in der Höhe.
Eine weitere „Hosenrolle“ ist die des Intriganten Polinesso, dem Nadezhda Karyazina stimmlich und darstellerisch gleichermaßen souverän Gestalt verlieh, ein gefährliches Kind zwischen schmollen und zerstören. Ihn liebt - trotz allem - die Dienern oder Zofe Dalinda: Katharina Bergrath bereicherte das Ensemble mit ihrem strahlend klaren Sopran und dessen Silberklang.
Zum Glück kriegt sie am Ende nicht der Bösewicht, sondern Ariodantes Bruder Lurcanio, dessen (trotz Yoga hinterm Segelboot) steife Persönlichkeit Mark van Arsdale dem Publikum mit feinem tenoralem Schmelz ans Herz legte. Für profunde dabei präzise artikulierte tiefe Töne sorgt in dieser Produktion Marcell Bakonyi als König der Schotten in der Maske des fetthaarigen Tochterschänders im Trainingsanzug.
Das Mozarteumorchester unter der Leitung von Christian Curnyn klang beinahe bis zur Hälfte des Abends seltsam steif und uninspiriert, so als bewegte man sich mit Händel auf völligem Neuland. Was umso verwunderlicher war, als man das Mozarteumorchester im „Alten Fach“ schon mehr als einmal mit ausgewachsenen Originalklangorchestern in eine Reihe stellen konnte - und Christian Curnyn in der vorletzten Spielzeit am Landestheater mit Vivaldis „Farnace“ Furore machte.
Bei „Ariodante“ stellte sich der Furor erst in der zweiten Halbzeit ein – dann aber mit allem, was man sich erwartet hatte, mit mitreißenden orchestralen Stürmen und bewegenden Instrumental-Soli beredet und traumschön.