Märchenstunde für Groß und Klein
REST DER WELT / WIEN / HÄNSEL UND GRETEL
30/11/15 Adrian Noble hat Engelbert Humperdincks erfolgreichen Opernerstling Hänsel und Gretel ins Haus am Ring zurückgebracht. Geschmackvoll und kindergerecht. Für Christian Thielemann am Pult ist das Werk musikalisch eine Herzensangelegenheit.
Von Oliver Schneider
Über 70 Jahre war Humperdincks Vorweihnachts-Klassiker nur in der Volksoper zu hören, die letzte Aufführung in der Staatsoper fand 1944 statt. Christian Thielemann ist mit seinem Dirigat für diese „Heimkehr“ der richtige Mann am Pult. Perfekt trifft er mit dem gut disponierten Orchester bei Kinderliedern wie „Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh“, „Ein Männlein steht im Walde“ oder „Abends wenn ich schlafen geh“ den volksliedhaften Ton und nimmt das Orchester so zurück, dass die gesamte Konzentration Daniela Sindrams Hänsel und Ileana Toncas Gretel gehört. Aber es wäre nicht Thielemann, wenn er nicht genauso das von Wagner Geprägte, das durch die Klangfarben Übernatürliche und Bedrohliche in großen Bögen suggestiv nachzuzeichnen wüsste. Und das trotz großer Besetzung in schöner Durchsichtigkeit. Das Publikum jubelte schon bei seinem Auftritt nach der Pause.
Regisseur Adrian Noble und Ausstatter Anthony Ward haben sich für die Inszenierung von Ingmar Bergmans Kultfilm „Fanny und Alexander“ inspirieren lassen. Zur Ouvertüre befindet man sich am Weihnachtsabend bei einer großbürgerlichen Familie im vorletzten Jahrhundert. Nicht die beiden Kinder haben Geschenke bekommen, sondern der Vater: eine Laterna magica, mit der sich die Kinder dann in der Nacht die Geschichte von Hänsel und Gretel hineinträumen. Dem Regieteam sind dafür zwar hübsche Bilder eingefallen, dafür fehlt es über weite Strecken an so etwas wie Personenführung. Was auch die Protagonisten nur teilweise in eigener Initiative wettmachen können. Das Hexenhaus kann man nicht betreten, denn es ist eigentlich nur ein etwas größeres Zucker- und Lebkuchenhaus. Etwas unpassend gezeichnet sind das Sandmännchen – eher eine Königin mit Schleppe und Regenschirm – und das Taumännchen – eine Fee unter einem blauen Tüllschleier.
Gesungen wird auf zum Teil hohem Niveau. Daniela Sindram und Ileana Tonca – Tonca war für Chen Reiss schon im Vorfeld eingesprungen – reüssieren mühelos sowohl bei den Kinderweisen als auch in den dramatischen Passagen. Adrian Eröd ist ein kantabler Vater, der wenigstens ein bisschen auch die soziale Sprengkraft des Märchens andeutet. Nur bei der Premiere hatte auch er leider krankheitsbedingt Forfait geben müssen. Er ertränkt den Kummer über die Armut längst im Alkohol, während die Mutter harte Züge angenommen hat. Genau wie in München 2013 an der Bayerischen Staatsoper ist in jetzt in Wien Janina Baechle zu hören, die hier in der Holender-Ära als Ortrud in der ungeliebten Inszenierung von Barrie Kosky einen Premierenerfolg verbuchen konnte. Zumindest in der besuchten Vorstellung klang ihre Stimme leider spröde und müde. Zudem wirkte sie neben dem hervorragenden Mimen Adrian Eröd darstellerisch zu hölzern.
Für die Hexe hat man mit Michaela Schuster eine Stimme so richtig nach dem Geschmack Maestro Thielemanns gewählt, die die Rolle mit Inbrunst gestaltet und geradezu lustvoll auf ihrem Besen reitet. Allerdings haben die fordernden Strauss- und Wagnerpartien ihre Schlacken hinterlassen. Annika Gerhards in der Doppelrolle des Sand-/Taumännchens schließlich rundet den alles in allem positiven Eindruck von der Neuproduktion ab.
Die Inszenierung wird sich sicherlich viele Jahre im Repertoire halten, denn sie lässt die Augen großer und kleiner romantisch veranlagter Kinder leuchten. Ob sie aber auch noch das Gros heutiger Kinder zeigt? Das ist zu bezweifeln; da war Richard Jones in seiner Münchner Inszenierung 2013 näher an der Realität, ohne den Märchencharakter zu zerstören.