Revue-Szenen aus „meinem“ Krieg
REST DER WELT / GRAZ / CACTUS LAND
19/11/15 Ein Theater kann auch sehr viel Pech haben. Dann nämlich, wenn es ein Stück (in diesem Fall sogar eine Uraufführung) ansetzt – und dann bringt das „echte“ Leben eine Situation, die das Geschehen auf einer Bühne, sagen wir es vorsichtig, ein klein wenig nebensächlich aussehen lässt.
Von Reinhard Kriechbaum
Auf der Bühne des Grazer Schauspielhauses verkommt gerade „Cactus Land“, ein mehr als wohlmeinendes Projekt der englischen Regisseurin Lily Sykes, gepackt in eine im Grunde sehr gute Aufführung, beinah zwangsweise zur inhaltlichen Leerstelle.
Um den englischen Kriegsfotografen Alex Lewis geht es, der sich vor allem (aber nicht nur) im Bosnien-Krieg journalistische Auszeichnungen verdient hat. Nach dem Bosnien-Krieg, nach Monaten im Hotel in Sarajevo, hat er ein Buch geschrieben: „My war gone by, I miss it so“. Das ist eine Art psychohygienische Abrechnung mit sich und seiner Zunft, kreisend um die Frage: Warum folgt ein Journalist überhaupt dem Krieg? Ist es Sensationslust, sind es psychologische Gründe, tiefenpsychologische gar, die solche Leute als Beobachter erste Klasse fußfrei in die Krisenherde der Welt treiben?
Wichtige Frage gewiss, nicht zuletzt deshalb, weil die Beurteilung des Journalismus selbst dran hängt. Wie ernst zu nehmen sind Reportagen und Bildgeschichten, wenn sich erst recht selektive Wahrnehmung oder gar das Schielen nach Verkäuflichkeit drin niederschlägt?
Das Buch von Alex Lewis eignet sich gut zur Dramatisierung. Lily Sykes, 1984 in London geboren, ist eine in Deutschland schon gut angeschriebene Theaterfrau. In Österreich inszeniert sie zum ersten Mal. Sie stellt natürlich den Kriegsreporter selbst auf die Bühne – Jan Brunhoeber zeichnet eine kernige Figur –, aber der ist mehr Suchender, Taumelnder. Die meisten Fragen schneidet das Zimmermädchen (Silvana Veit) an, das recht verschossen scheint in den etwas chaotischen Gast. Die Antworten geben (und die Geschichte selbst erzählen) meist andere Leute: des Kriegsfotografen Mutter (Cornelia Kempers), seine Schwester Natascha (Henriette Blumenau). Eine Art fachspezifischer Bezugsperson ist die Kriegsjournalistin (Sarah Sophia Meyer). Lauter Typen mit je eigenem starken Charisma.
Von all denen wird die Persönlichkeit des Herrn Alex Lewis, der an seiner Kriegsherren-Ahnenkette und vor allem auch an seinem schlechten Verhältnis zum Vater zu kiefeln hat, haarklein durchgekaut, in einer Aufführung, die zwischen Surrealismus und Revue pendelt. Ein Musik-Chor aus sechs Kriegswitwen komplettiert die etwas über zweistündige Bühnenshow voller Buntheit und Betriebsamkeit. Schauplatz Bosnienkrieg, und kein einziger Schuss fällt, Kompliment! Höchstens Luftballone zerplatzen wie manche Sprechblasen, vor allem gegen Ende hin. Manche Sätze sind aber auch gut: „Heutzutage machen Terroristen ihr eigenes Marketing.“
Warum bloß ertappt man sich dabei beim Blick auf die Uhr? Es ist das eigentlich falsche Thema hier und jetzt. Über die Seelenbefindlichkeit und den (durchaus kritisch zu hinterfragenden) Charakter des Herrn Alex Lewis nachzudenken, ist kein vordringliches Anliegen, wenn täglich dreitausend Kriegsflüchtlinge aus Syrien durchs Land gekarrt werden. Dass auf der Bühne, aus dem Hotelzimmer-Radio, die eine oder andere aktuelle Nachricht mit Flüchtlings-Bezug kommt, tut da wenig bis überhaupt nichts zur Sache.