Die Neger sollen sich vernegern
REST DER WELT / WIEN / DIE NEGER
04/06/14 Nur zwei haben ein Gesicht, und die beiden sind einer. Der Eine, Stefan Hunstein, stellt sich uns als Archibald vor, Spielleiter der bevorstehenden bitterbösen Clownerie. Aber er bekommt kommt augenblicklich Konkurrenz von einem Zweit-Archibald: Felix Burleson aus den Niederlanden ist wirklich afrikanisch-stämmig.
Von Reinhard Kriechbaum
Ein wirklicher „Neger“ also, wie der Stücktitel von Jean Genet, der prompt im Vorfeld der Wiener Festwochen-Premiere die politisch Korrekten auf den Plan gerufen hat – so dass jetzt nach jeder der drei Vorstellungen im Wiener Theater Akzent ein Publikumsgespräch angesetzt ist, damit nur ja niemand irritiert bleibt von Sätzen wie „Es ist genug Schuhpaste vorrätig“…
Die Schuhpaste lässt Johan Simons in der Dose, bis auf die Schminke für den Archibald-Doppelgänger eben. Dunkelbraun wäre Zwischenfarbe zu viel für seine – wie sich aber zeigen wird: nur vordergründig – schwarz-weiß gehaltene Recherche über den Plot von Jean Genet und über die geschliffenen Sätze der Übersetzung von Peter Stein aus dem Jahr 1983. Der niederländische Theatermann räsoniert auf dem Programmzettel über die historische Kolonialschuld seiner niederländischen Landsleute und der anderen europäischen Ex-Kolonialmächte. Klar, Genets „Neger“ halten den Weißen einen Spiegel vor und lassen sie in die Fratze der eigenen Hautfarbe blicken. Aber auch die Schwarzen sind nicht ohne. „Die Neger sollen sich vernegern“ heißt es einmal, sprich: radikalisieren, den Hass ausleben, das Potential zur Meuterei, zur Rebellion, zur Schlächterei nutzen. Sie tun das, indem sie zuletzt die Weißen massakrieren.
Johan Simons blendet die Gesichter aus, stülpt den Darstellern kohlrabenschwarze und weiße Masken aus Papiermaché über. Keine Augen, Nasen, Münder, wie sie die Individualität ausmachten. Eiförmige Gebilde bloß, die nach oben in jeweils gleich-unfarbigen Kopfputz übergehen und zumindest in der „weißen“ Gruppe des Hofstaats die Stellung kenntlich machen. Die Maske der hinfälligen Königin (Maria Schrader) wächst zur zackigen Krone empor, der Kirchenmann hat ein Kreuz obenauf, der Richter ein Gesetz-Büchlein als abnehmbare Kappe. Praktisch, wenn es drum geht, unter den Schwarzen Gericht zu halten.
Freilich: Im Schattenspiel sind auch die Weißen schwarz. Und wenn die Schwarzen – was oft passiert – hinter den Papier-Paravent gehen, sind sie so ohne weiteres von den weißen Höflingen nicht zu unterscheiden. Das Bühnen-Setting unterstützt des Regisseurs hinterhältig angelegtes Rollen-Kuddelmuddel. Eine Fläche aus weißen Papierbahnen bloß, dahinter thronen die Weißen als Schattenbilder und lugen oft neugierig durch Schlitze hervor, um zuzusehen, was da die Schwarzen vorne vorbereiten an der Bahre der toten jungen weißen Frau.
Der Mord ist ja der Anlassfall für die grotesken Dinge, die da demnächst Bühnen-Scheinleben annehmen werden. Die Tote in Hinteransicht ist aus Lattex, wassergefüllt. Aus ihr tröpfelt es in einem fort, die Gestalt wird immer dünner und der Po verliert seine Rundung. Am Ende wird die Leiche ausgeronnen sein, sich aufgelöst haben wie der Anlassfall der schwarz-weißen Auseinandersetzung. Übrig bleibt das Sammelsurium an fehlgeleiteten Ansichten, verqueren Meinungen, unhaltbaren, aber hartnäckigen Vorurteilen über die jeweils anderen. Alle liegen sie tot da, sogar der „europäische“ Archibald, wogegen sein negroider Doppelgänger kopfschüttelnd da steht, fassungslos nestelt er an der Zigarettenpackung. Auf so was gibt‘s keine Antworten, nur ratloses Abgehen.
Viel Text quillt in den beinahe zwei Stunden aus den Masken hervor. Messerscharfes, Zugespitztes, Hohles, alltäglich Banales und ebenso alltäglich Unverrottbares. Das ewig Haltbare an den faulen Früchten des Rassismus, Paternalismus, Kolonialismus. Dies krass herauszustellen ist Johan Simons aufs „Neger“-Schlachtfeld gezogen, über das gelegentlich der Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ tönt. Da halten dann alle, Schwarze und Weiße, bemüht andächtig Stille, denn ihre christliche Sozialisierung haben sie ja gleichermaßen abbekommen. Vom schwarzen Generalvikar erfahren wir, dass er manch „gute“ Eigenschaften der Weißen geschultert hat, in der Hand gar Wohltätigkeit trägt…
Nein, im Detail ist das alles gerade nicht so schwarzweiß. Die Clownerie/Farce erfordert konzentriertes Zuhören, erfreut mit vielen präzis gesetzten gestischen Irritationen, mit Subtexten. Das ist streckenweise auch recht mühsam. Johan Simons jagt uns mit seinem Setting gelegentlich auch in Zeitlupe ins Bockshorn, da bleibt genug Raum zum Weiterdenken. „Wir müssen die Sprache so dehnen, dass wir uns mit ihr umhüllen, in ihr verstecken können“, sagt der Spielleiter.
Gut versteckt, ja: Den Kolonialismus heutiger Tage, die globalisierte Wirtschaft, hätte sich Jean Genet nicht in seinen kühnsten Träumen ausmalen können. Die Festwochen-Aufführung, eine Kooperation mit den Münchner Kammerspielen und dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg, kommt trotzdem ganz ohne Gegenwartsanspielungen aus. Genet schrieb sein Stück 1958, fünf Jahre vor Martin Luther Kings Rede „I have a dream“. Damals durften gerade Schwarze gemeinsam mit Weißen dieselben öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Unglaublich eigentlich, wie wenig lang das her ist.