Wie sie Tag für Tag irgendwo revoluzzen
REST DER WELT / GRAZ / DIAGONALE
20/03/14 Megaphone zu verwenden – das hat die New Yorker Obrigkeit der Occupy-Bewegung schlicht und einfach verboten. Wie lösen die friedlichen Protestierer die Malaise? Sie treten in Scharen auf, eine Sprecherin oder ein Sprecher skandieren kurze Sätze und Statements, die die Gruppe als Sprechchor wiederholt. So kann man schon ordentliche Statements hinausposaunen.
Von Reinhard Kriechbaum
Rufen wird man schließlich noch dürfen. Auf Töpfe klopfen ebenso. Und Luftballone aufblasen oder Pingpong-Bälle zu Hunderten über die Straße hüpfen lassen ebenso. Letztere Aktion hat die Security-Leute von Syriens Präsidentem Assad ziemlich flott in Bewegung gebracht. Es soll drollig ausgesehen haben, wie sie die kreuz und quer springenden, ultra-leichten Steine des Anstoßes vergeblich einzufangen trachteten, erzählt einer der Initiatoren dieser subversiven Aktion.
Hundertzehn Minuten prall gefüllt mit erfindungsreichem, nicht klein zu kriegendem zivilen Ungehorsam. Das ist der am Mittwoch (20.3.) bei der Diagonale in Graz uraufgeführte Film „Everyday Rebellion“ von den Riahi Brothers. Die klingen fremdländisch, sind sie auch. 1982 sind Arash und Arman Riahi aus dem Iran geflohen. Nun leben sie in Wien und sind klassische kulturelle Grenzgänger, die hüben und drüben, im „goldenen“ Westen ebenso wie in ihrer Herkunftsregion die Dinge genau beobachten, das Verhalten der Menschen und die Hintergründe. Es fallen ihnen Parallelen und Unterschiede auf. Natürlich sieht es ganz anders aus, wenn Opfer der Immobilienblase in Spanien ihren Protest artikulieren oder sich Menschen in Syrien zaghaft für den Frieden einsetzen. Und mit „Femen“ in der Ukraine verhält es sich nochmal ganz anders. Innerhalb der EU revoluzzt es sich vergleichsweise leicht und weitgehend ungefährdet, wogegen man in Diktaturen schon schnell mal Schaden an Leib und Seele riskiert.
Die Riahi Brothers lassen Aktivisten aus der halben Welt zu Wort kommen. Viele treten gegen das globale Wirtschaftssystem, gegen die Übermacht des Geldes und der Konzerne ein. Andere sind mit den diktatorischen Regimes in ihren eigenen Ländern beschäftigt. Die einen marschieren Richtung Wall Street, die anderen auf den Tahir Platz.
Angeblich, so wird versichert, sei auf Dauer mit friedlichem Widerstand mehr zu holen als mit Gewalt. Überlegte Rebelleure achten daher peinlichst genau darauf, dass sich niemand in den eigenen Reihen von den Emotionen mitreißen und von der Gegenseite provozieren lässt.
Muss man sich in Geduld üben als ziviler Widerständler? Ja, schon. Nach durchschnittlich zweieinhalb Jahren sollte sich schon was zu bewegen beginnen, sonst heißt es: Zurück an den Start, mit anderen Mitteln und Methoden. Aber jedenfalls versichert einer glaubhaft: „Auch mit großen Träumen muss man klein beginnen.“ Gandhi habe nicht Erfolg gehabt, weil er Buddhist war, sondern weil er das Augenmaß fürs real Mögliche behalten hat.
Ein paar Sätze von Menschen aus der Protestszene lassen aufhorchen: „Als Student nicht zu rebellieren, ist einfach dumm“, sagt einer – wann denn sollte man sich für eine Änderung der Lage einsetzen als in einem Alter, da man noch selbst von der Änderung profitiert. Und das Revoluzzen an der Tastatur ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss: „Nur auf der Straße kann man gewinnen, alles andere ist Klicktivismus.“
In der Diskussion nach der Uraufführung von „Everyday Revolution“ hatten die beiden Filmemacher unter anderem auch ein blondes blumenbekränztes „Femen“-Fräulein dabei. Auch diese Protestgruppe, die stark polarisiert und auch bei jeweils in der Sache Wohlmeinenden nicht wenig Kritik und Widerspruch provoziert, kommt in dem Film natürlich ausführlich vor.
Die Strategie der Filmemacher: Sie erzählen ganz wenig von den sozialen oder politischen Hintergründen. Das Wissen darum setzen sie bei einem einigermaßen mündigen Publikum wahrscheinlich zurecht voraus. Umso mehr dürfen die Einzelnen über ihre Befindlichkeiten und die Wege ihres Protests erzählen. Meist ist ja der Weg gleich das erste Ziel. In Syrien, im Iran und in vergleichbaren Ländern ist die Strategielosigkeit die effizienteste Strategie: Verkleidungen würden enttarnt, sagt eine Frau, die Rebellierer bald ermordet. Und klar geplante Ziele wären von den diktatorischen Systemen rasch aufgedeckt. Also besser unerwartet, „planlos“ zuschlagen, wobei das Wort „zuschlagen“ ja danaben ist.
Denn gerade um die Gewaltlosigkeit, um das beharrliche, aber sanfte Sich-Widersetzen geht es denen, die rund um den Erdball in recht ansehnlicher Zahl aufbegehren. „Everyday Revolution“ steht wohl für eine neue Weltzeitströmung der Agitation gegen Misstände jeder Art. Schmerzhaft für die verrmeintlichen Inhaber der Weltordnung, auch wenn der Protest mit der Hüpf-Energie von Tischtennisbällen daher kommt