Familienbande(n)
REST DER WELT / STYRIARTE
20/07/12 „Familienmenschen“: Das Thema der Styriarte, die an diesem Sonntag (22.7.) zu Ende geht, hielt auch Streiflichter auf Leute und Dynastien bereit, deren Namen man nicht unbedingt mit Musik verknüpft.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Medici, ja, die schon. Immerhin ist in Florenz die Oper erfunden worden, sozusagen als Irrläufer der versuchten Wiederbelebung antiker Tragödie. Am Donnerstag (19.7.) hat das famose Ensemble Cinquecento aber andere Musik aus dem Umkreis der Medici hören lassen. Dieser „Clan“ – Oligarchen würde man heutztutage vielleicht sagen – hatte ja Geld ohne Grenzen. Und so wurden die zu Beginn des 16. Jahrhunderts prominentesten Niederländer aus Hofkapellen (zum Beispiel von jener des Kaisers Maximilian) abgeworben. Leute wie Heinrich Isaac oder Adrian Willaert waren sich nicht zu schade, „Auftragsmusik“ zu schreiben. Da wurde in (weltlichen) Madrigalen das Wirken der Medici für das aufblühende Florenz unverschämt schönfärberisch besungen. Feindliche Familien wie die Sforza aus Mailand bekamen ihr Fett ab. Der aus der Medici-Familie stammende Papst Leo X. bekam hingegen eine Huldigungsmotette wie kaum ein anderer vor oder nach ihm auf dem Stuhl Petri.
Familienmenschen: Morgen Samstag (21.7.) wird sich Jordi Savall mit der Capella Reial de Catalunya und Hesperion XXI auf die Spuren der Familie Borgia begeben – auch das waren Emporkömmlinge (die Ahnen schrieben sich Borja und stammten aus Kastilien), die es zu Geld, Macht und obendrein zu allerhöchsten kirchlichen Ämtern brachten: Der berüchtigte Alexander VI., über den die Geschichte nicht viel Positives vermeldet, war als Papst stolzer und vor allem die Karrieren seiner Kinder effizient fördernder Vater…
Dass Jordi Savall mit seinen Ensembles die Styriarte beendet, gehört zum guten Ton, so wie in den ersten beiden Festival-Wochen die Konzerte mit Nikolaus Harnoncourt. Seine Kirchenmusik-Exegesen in Stainz ermöglichen eine eigenwillige Verschränkung aus Musik-Event (Schilcher-Umtrunk vorab im Klosterhof) und ernsthafter Kontinuität in der Interpretation. Harnoncourt, der Arnold Schoenberg Chor und der Concentus Musicus widmen sich hier – über Jahrzehnte schon – alljährlich dem geistlichen Schaffen von Haydn, Mozart und Schubert. Diesen Termin verkauft die Styriarte unterdessen drei Mal, das Konzert vom 8. Juli wurde auch live im Hörfunk übertragen. Damit haben die Ö1-Hörer gegenüber dem Salzburger Festspielpublikum Vorsprung, denn dort wird das gleiche Programm im Rahmen der „Ouverture spirituelle“ am 29. Juli wiederholt.
Mozarts „Missa longa“ KV 262 – gerade im Gedenkjahr für Erzbischof Colloredo, dem die Nachwelt andichtete, Mozart aus Salzburg vergrault zu haben, kann man sie als ein tönendes Korrektiv hernehmen. Es muss schon ein kunstsinniger Boss gewesen sein, dem Mozart solche Fugen-Brocken in die fürsterzbischöflichen Ohren drückte!
Zum Thema „Familienmenschen“ passte Harnoncourts Stainz-Konzert zumindest insofern, als derzeit wahrscheinlich niemand intim-familiärer umgeht mit dieser Literatur als Harnoncourt, der Concentus und der Schoenberg-Chor. Die Sakramentslitanei KV 243, aufgefächert in Momente des Forderns und Drängens, des Jammerns und Flehens, der Demut und des Aufbegehrens also: Wer vermittelt das heutzutage schon so sprechend?
Heute Freitag (20.7.) ist die prominenteste Barfüßerin des Musiklebens in Graz auf dem Podium: Patricia Kopatchinskaja (Violine) bringt dazu ihre Famlie mit. Vater Viktor Kopatchinsky ist in Moldavien ein prominenter Volksmusikant am Cymbal, die Mutter eine Geigerin…
Fast ist es Chuzpe, Don Carlo Gesualdo da Venosa als „Familienmensch“ zu bezeichnen. Immerhin, er war verheiratet. Aber als er seine Gattin beim Techtelmechtel mit einem anderen überraschte, zögerte er nicht mit Vendetta: zwei Leichen. Hörte man im Schloss Eggenberg, wie „The Kassiopeia Quintet“ sich einließ in die schier halt- und bodenlosen Harmoniewirbel insbesonders des fünften und sechsten Madrigalbuchs, so kam man unweigerlich zum Schluss: Gesualdo hat das klassischen Verständnis von Renaissance-Ausgewogenheit und regelhafter Harmonik ungefähr gleich erfolgreich gekillt wie seine erste Ehefrau und deren Liebhaber.