asdf
 

Spiel ohne Grenzen

REST DER WELT / WIEN / CALIGULA

21/05/12 Jan Lauwers übersetzt Albert Camus‘ „Caligula“ in drastische Bilder im Wiener Kasino am Schwarzenbergplatz. Der Abend nimmt den Zuschauer mit.

Von Oliver Schneider

Das Publikum sitzt auf Tribünen um einen mit Plastikgeschirr festlich gedeckten Tisch auf einer weißen Spielfläche. Im hinteren Teil des ovalen Raums liegt ein braunes Pferd auf dem Boden. Auf der anderen Seite vor einer riesigen Schlagzeugbeckeninstallation von „The Shimmering Beast“ steht ein kleines Pult auf einem Podest. Von hier aus wird der römische Kaiser Caligula, dessen vier Jahre währender Gewaltherrschaft die Prätorianergarde 41 nach Christus ein Ende setzte, viele grausamen Anweisungen geben, um seinen Wunsch nach unbeschränkter Entscheidungsfreiheit auszuleben.

Albert Camus, 1913 in Algier zur Welt gekommen, studierte Philosophie. 1940 musste er nach Frankreich auswandern, wo er sich der Widerstandsbewegung anschloss. Philosophisch war er bis 1952 eng mit Jean-Paul Sartre verbunden. In seinen Romanen und Theaterstücken stehen Menschen im Mittelpunkt, die sich gegen die seiner Meinung nach bestehenden Absurditäten in der Welt auflehnen, indem sie sich selbst grenzenlos verwirklichen. „Caligula“ ist Camus‘ erstes, 1938 entstandenes Theaterstück: Der Kaiser wird aus unendlicher Trauer über den Tod seiner geliebten Schwester Drusilla zu einem menschlichen Schlächter. Er interpretiert den Tod der Schwester als ungerechten Schicksalsschlag, für den er sich am Rest der Menschheit schadlos halten muss. Das Stück wurde 1945 nach Kriegsende in Paris uraufgeführt und klarerweise als Schlüsselstück auf die gerade zu Ende gegangene Gewaltexzesse interpretiert.

Im Wiener Kasino am Schwarzenbergplatz inszenierte Jan Lauwers, Gründer der flämischen Needcompany und Artist in Residence an der Burg. Das Werks hat an Aktualität nichts verloren, die sprachliche Pointierung ist eine Freude (Übersetzung eigens fürs Burgtheater: Uli Aumüller). In Camus‘ Präzision greift Lauwers auch nicht ein. Nur das Personal reduziert er auf acht Damen und Herren, und die vier Akte kondensiert er behutsam auf gute zwei Stunden, die Konzentration verlangen. Die „Reproduktionsmaschine“ Burgtheater und das den Arbeiten der Needcompany eigene Element der „Produktion“ kombiniert der Regisseur, indem er als achte Person Octavia (Anneke Bonnema) einführt, die Frau des Lepidus. Sie darf zwar kaum etwas sagen, dafür filmt sie. Das wäre, wie so oft, unnötig, weil es ablenkt. Nur einmal nicht, als Caligula die schreiende Octavia selbst zwingt, es mit dem Pferd zu treiben. Das findet sich allerdings nicht bei Camus. Noch ein zweites Mal zeigt Caligula gegenüber Octavia seine Grausamkeit, indem er sie auffordert, tödliches Gift einzunehmen. Cornelius Obonya ist dieser faszinierende Caligula, ein an der Grenze zum Wahnsinn stehender Rationalist, der es liebt, seine Untertanen zu Widerspruch herauszufordern. Er zeigt aber auch immer wieder sein menschliches Antlitz, bevor er sich blitzschnell in ein gewalttätiges Ungeheuer verwandelt.

Auch Helicon und Caesonia, seine willigen Helfer, sind vor seiner Grausamkeit nicht sicher. Helicon (Hermann Scheidleder) hat den Aufstieg vom Sklaven geschafft und macht sich über die Senatoren und Patrizier lustig, die unter Chereas Führung (André Meyer) eine Verschwörung gegen den Gehassten anzetteln wollen. Doch in seiner Schlauheit fühlt er sich zu sicher, was der eiskalt räsonierende Analytiker Kaiser durchschaut. Als sich Caligula plötzlich tot stellt, zeigt Helicon sein Mitleid zu stark, er würde sogar sein Leben für den Tyrannen geben. Das hat der simulierende Caligula gehört, nimmt gerne das Leben des Untertans für sein eigenes Wohlbefinden an und befördert ihn ins Jenseits. Als letzte muss seine mütterliche Geliebte Caesonia (hervorragend Maria Happel) daran glauben. Sie wird erwürgt.

In gewisser Hinsicht ein Alter Ego zu Caligula bildet der Dichter Scipio (Hans Peter Dahl). Nicht, dass er auch grausam wäre, aber in seiner Weltsicht und Konsequenz gleicht er ihm, so dass Caligula Scipios Widersprüche tolerierend zur Kenntnis nimmt.

Verstörend ist der Schluss: Die verwüstete Tafel wird vom Personal wieder hübsch hergerichtet, und man erfreut sich an Wiener Schnitzel mit Salat und dazu einem Gläschen Roten. Als ob nichts passiert wäre, als ob es Gewaltexzesse in der Realität nicht gegeben hätte und geben würde.

Weitere Vorstellungen: 21., 22. und 24. Mai, 11. und 12. Juni, Wiederaufnahme in der Saison 2012/13. – www.burgtheater.at

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014