Märchenstunde am Bodensee
BREGENZER FESTSPIELE / ACHTERBAHN
22/07/11 Nachdem David Pountney in den letzten Jahren mit Opernraritäten spannende Kontrapunkte zu den technisch aufwändigen Freilichtaufführungen auf der Seebühne gesetzt hat, versucht er in seinen letzten drei Jahren als Intendant am Bodensee mit Uraufführungen Akzente zu setzen.
Von Oliver Schneider
Den Reigen eröffnete am Donnerstag Judith Weirs „Achterbahn“, das sich nur als Uraufführung an sich optimal unter das Festspielmotto „Schöpfung“ einreihen lässt.
Die britische Komponistin und Librettistin hat das italienische Volksmärchen „Sfortuna“ (Schicksal) in die Gegenwart übertragen. In einem Börsencrash verliert die Familie Fortune den grössten Teil ihres Vermögens. Während die Eltern mit ihren letzten Habseligkeiten fliehen, will Tochter Tina mit harter Arbeit wieder hochkommen. Der Weg ist mühsam, denn noch zweimal macht ihr das personifizierte Schicksal (Fate) mit seiner Gang einen Strich durch die Rechnung. Statt den Einstieg in die Modebranche zu schaffen, wird sie in einer Kleiderfabrik als Putzfrau ausgenutzt. Als Tina einen Kebab-Stand hütet, muss sie mit ansehen, wie Fates Gang diesen in Brand setzt. Ihr Schicksal wendet sich erst in einem Waschsalon, weil die Besitzerin ihr einen persönlichen Kontakt mit Fate verschafft. Auf die Sonnenseite des Lebens kehrt Tina mit einem Lottogewinn zurück, doch darauf verzichtet sie gerne, weil sie die Liebe zu Simon entdeckt.
Weirs Botschaften sind dem Zuschauer nach wenigen Minuten klar: Es geht um das Auf und Ab im Leben und die Vergänglichkeit von materiellem Glück. Auf der Bühne braucht sie für die Vermittlung eines solchen Allgemeinwissens rund eineinhalb Stunden, die sich nicht zuletzt wegen einer überflüssigen Pause wie Kaugummi in die Länge ziehen. Schuld daran ist zunächst das flache Libretto, das vor Banalitäten und Peinlichkeiten strotzt. Wenn zum Beispiel Simon Donna, der Inhaberin des Waschsalons, von einem gut gebügelten Hemd vorschwärmt, als ob er ihr einen Heiratsantrag machen würde, wirkt dies vorsichtig ausgedrückt befremdend.
Würde wenigstens die Musik mehr hergeben. Doch Judith Weirs Stilmix aus Minimalismus, neoklassizistischen Anflügen, Volks- und Popmusik plätschert höhepunktlos vor sich hin, ohne den Zuhörer zu fordern. Zu farblos sind die Personen gezeichnet, vor allem das Fäden ziehende Schicksal. Auch das breitschichtige Bregenzer Publikum darf mehr von einer Uraufführung erwarten.
Der aus China stammende, heute in den USA lebende Opern- und Filmregisseur Chen Shi-Zheng und sein Team (Bühne: Tom Pye, Kostüme: Han Feng) haben in ihrer Inszenierung immerhin auf gelungene Weise naturalistische und abstrakte Elemente gemischt und bieten so dem Auge etwas. Während Tinas Schicksalsstationen mit Näh- und Waschmaschinen sowie Dönerbude klar angedeutet sind, dienen ansonsten nur einmal als Schiffsbug, mal als Flügel, mal nur schillernd beleuchtetes Viereck (Licht: Scott Zielinski) und ein Leuchtröhrenelement der Raumgliederung. Shi-Zeng versteht auch sein Handwerk in der Personenführung und bietet bei den Auftritten der Rapper Gang, die sich als Handlanger für das Ausführen von Fates Schickssalsschlägen betätigt, mit gelungenen Choreographien Abwechslung. Nur dem Schicksal hätte er mehr Markanz zubilligen dürfen.
Erfreulich ist, was stimmlich geboten wird. Emma Bell setzt als präsente Tina auf klare Linie, Andrew Watts bringt für das Schicksal einen geschmeidigen Countertenor mit. Akzente setzen Noah Stewart als agiler Kebabbudenbesitzer und Jacques Imbrailo als Simon, der seinen lyrischen Bariton differnziert einzusetzen weiss.
Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Paul Daniel machen das Beste aus der Partitur und legen einen sonoren musikalischen Teppich, der Prager Philharmonische Chor, einstudiert von Lukáš Vasilek, entledigt sich seiner kleineren Aufgabe routiniert. Kurzer Applaus.
Hoffentlich haben die Festspiele mit den Uraufführungen 2012 und 2013 – „Solaris“ von Detlev Glanert und „Geschichten aus dem Wienerwald“ von HK Gruber – mehr Glück.