Am Ende einer Ära?
REST DER WELT / LOCKENHAUS / 30 JAHRE KAMMERMUSIKFEST
11/07/11 In der Gerüchteküche der heuer dreißigjährigen Institution brodelt es gewaltig: „Alle glauben, dass es weitergeht, aber keiner weiß wie.“ So formulierte es ein prominenter Stammgast am ersten Wochenende.
Von Wolfgang Stern
Es gibt sicherlich nur mehr wenige „Einundachtziger“, also Besucher, die seit 1981 dem außergewöhnlichen Fest im Mittelburgenland die Treue halten. Der Schreiber dieser Zeilen darf sich dazu zählen und erlebte so ziemlich alle Höhen und Tiefen, Überraschungen sowohl im positiven als auch im negativen Sinn. Wer vom Virus dieses Festes befallen ist, der wird kaum „geheilt“, außer es passiert wie vor zwei Jahren, als der künstlerische Leiter Gidon Kremer sein Publikum in Stich gelassen hatte und dadurch ein großer Graben aufgerissen wurde. Seitdem bleiben viele Stammgäste, vor allem aus dem deutschen Raum aus.
Auch im Jubiläumsjahr sind am ersten Wochenende viele Reihen in der Kirche leer geblieben – das war früher undenkbar. Und dies, obwohl das Niveau der ersten Konzerte ein sehr, sehr hohes war und ein solches auch bis zum 17. Juli zu erwarten ist.
Nun wird Gidon Kremer also die künstlerische Leitung abgeben und verspricht bei einer Fortsetzung (die sich er ebenso wünscht), als Gastmusiker wieder zu kommen. Doch bis dato ist kein Nachfolger gefunden, fieberhafte Anfragen seien laut Insiderkreisen bisher negativ beschieden worden. Es wäre wohl sinnvoll gewesen, sich rechtzeitig, spätestens aber 2009, um einen Nachfolger zu kümmern. Dies wurde anscheinend unterlassen und nun steht man vor der unbekannten Zukunft eines Festivals, das zu einer Weltmarke geworden ist.
„Man sollte nicht von einem Ende sprechen, ich glaube an die Zukunft von Lockenhaus“, so Kremer, der es hier besonders liebte, Spontaneität zu leben und zu erleben. Auch der ehemalige Ortspfarrer und Mitbegründer Josef Herowitsch – „Abschiednehmen gehört zum Leben“ - ist in Pension gegangen. Der Pfarrhof, die ehemalige Drehscheibe für alle Künstler, gleich neben der Kirche, ist geschlossen. Ein schlechtes Omen für die Zukunft? Alle wollen, doch wer wird ...?
In diesem Kammermusikfest gilt freilich noch die Devise: Wer nicht neugierig ist, ist in Lockenhaus fehl am Platz. „Lockenhaus ist eine Oase“, so Kremer, ein Ort, wo man Kraft auftanken kann und mit einer gesunden Einstellung und einem gewissen Risiko Außergewöhliches erleben kann. „Hier wird kreative Energie umgesetzt und man hat die Chance, erhört zu werden“, so der Stargeiger. In den vergangenen Jahren waren es immer mehr junge Talente aus dem Baltikum und aus Osteuropa, die hier in Kirche und Burg ihr Können unter Beweis stellen konnten. Das Motto diesmal: „Kompromisslos jung“.
Ein junges Quartett, das Hermès Quartett – noch Studenten an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, beeindruckte am ersten Wochenende mit einem Haydn-Streichquartett oder besonders zusammen mit einer „alten“ Lockenhauserin, Kim Kashkashian, im Mozart-Streichquintett Nr. 1, KV 174. Mit viel Ausdruck und einer bewegten Art zum Musizieren gaben sie Anton Weberns „Langsamen Satz“ für Streichquartett (1905) wieder.
Zwei Geiger fanden sicher ihre neuen Fans, zum einen der Tscheche Jiri Vodicka in einem Klavierquartett des Landsmanns Josef Suk, zum anderen die Norwegerin Vilde Frang, die mit weichem Ton und enormem Gestaltungswillen Edvard Griegs Erste Violinsonate feinsinnig zusammen mit der Pianistin Ani Takidze musizierte.
Man erinnert sich gerne an noch längere echte Marathons, etwa an einen Abend 1982, als man um 3.30 Uhr morgens nach einem grandiosen Mendelssohn-Oktett, fast schon im Morgengrauen, die Kirche müde, aber tief berührt, verließ. Vergleichsweise moderat nun ein Konzertende kurz vor halb zwölf: Die in Lockenhaus spontan formierten Ensembles sind oft angenehme Überraschungen. So stand am Ende dieses Minimarathons das Beethoven-Quintett, op. 16. mit Nicholas Daniel (Oboe), Reto Bieri (Klarinette), Szabolcs Zempleni (Horn), Dag Jensen (Fagott) und Elena Bashkirova (Klavier). Temperamentvoll und souverän tastete man sich bis zum letzten Ton vor - höchste Qualität, wie man sie so oft in den 30 Jahren erleben durfte.
Nicht unerwähnt darf noch Schönbergs Kammersymphonie Nr. 1, op. 9, in der Bearbeitung von Anton Webern aus dem Jahre 1923 bleiben. Ein phantastisches Quintett nahm sich dieses Werkes an: Maria Fedotova (Flöte), Mate Bekavac (Klarinette), Michael Barenboim (Violine), Anthony Kondo (Violoncello) und Elena Bashkirova (Klavier).
Die Programme sind diesmal eher konservativ gehalten. Kremer will nicht vergrämen und zu einem schönen Abschluss seiner Ära kommen.
Wie schön klingen Kremers Worte: „Lockenhaus ist die Verwirklichung meiner Träume; eine Versammlung von Freunden, die mit Freunden für Freunde Musik spielen wollen“. Als Realist muss ich fragen: „Gibt es wirklich so viele Freunde?“