Kein fremder Himmel schützte mich
WIEN / IMPULSTANZ / THE GREAT YES, THE GREAT NO
17/07/24 Ein Epos über Flucht, trügerische Illusion, aber auch über aufkeimende Hoffnung. Die schwankt freilich mindestens so wie der Dampfer, auf dem William Kentridge mit einem indigenen südafrikanischen Team aus Tänzern, Sängerinnen, Performern „The Great Yes, The Great No“, eine Allegorie der Heimatlosigkeit, spielen lässt. Österreichische Erstaufführung beim Impulstanz-Festival im Wiener Burgtheater.
Von Reinhard Kriechbaum
„Unser Kontinent ist schlecht konzipiert fürs Glücklichsein“, sagt Charon, der ein Megaphon ans Auge hält, wohl wissend, dass jeder genauere Blick ins ferne Exil seiner Fahrgäste nur Unerfreuliches zutage fördern würde. „Das ABC lautet: Man wird mit euch fertig werden.“ Da haben es positive Gedanken schwer.
Was für eine Passagierliste auf einem Schiff, mit dem zuvor Orangen transportiert wurden! Da waren im März 1941 der Surrealist André Breton, der Anthropologe Claude Lévi-Strauss, der Künstler Wilfredo Lam, der Romancier Victor Serge und die Autorin Anna Seghers unterwegs. Sie alle auf der Flucht vor dem mit Hitler kooperierenden Pariser Vichy-Regime, von Marseille nach Martinique. Bei dieser (historisch belegten) gemeinsamen Reise belässt es William Kentridge nicht. Aimé Césaire ist an Bord (in Wirklichkeit war er schon zwei Jahre zuvor in die Karibik gereist), die Schwestern Nardal und Léopold Sédar Senghor. Sie hatten im Paris der Zwischenkriegszeit die antikoloniale Négritude-Bewegung begründet. Auch der Psychiater Frantz Fanon war ein Vordenker der Entkolonialisierung.
Zwei sehr unterschiedliche Damen mit Vornamen Joséphine sind mit von der Partie: Napoleon III. hatte zwar (theoretisch) die Sklaverei in den französischen Provinzen abgeschafft, aber seine Frau hintertrieb dies, weil ihre Eltern eine Zuckerplantage auf Martinique betrieben. Die andere, Joséphine Baker, tanzte im Bananenröckchen und machte so auf die Lage der Indigenen aufmerksam. Methoden und Verständnis von politischer Korrektheit sind wandelbar. Sogar Trotzki und Stalin tauchen auch kurz auf.
Das südafrikanischen Darstellerinnen und Darsteller halten große, plane Pappköpfe vor die Gesichter, wenn sie in diese Figuren schlüpfen. Aber sie ziehen diese auch gleich wieder weg, weil es sind ja auch Geschichten der people of colour, die sie erzählen. Also eigene, authentische Geschichten. Dafür steht beispielsweise der ungemein starke Chor der sieben Frauen. Sie singen in ihren südafrikanischen Muttersprachen isiSwati, isiZulu, isiXhosa, Setswana, Xitsonga und Sepedi. Sie klagen, erinnern, vermitteln. „Kein fremder Himmel schützte mich!“ Charon, der Schiffmann zur Unterwelt, kommentiert höhnisch: Das alles werde den noch nicht Geborenen schwer zu vermitteln sein. Aber die Musik der Frauen, geprägt von starken Soli und markig rhythmisierten Refrains, lässt Widerstand und Überlebensstärke greifen. Aufs Wort Négritude kontert eine: „Ich bin kein Gefangener der Geschichte!“ Und es folgt der Vorwurf an die Alte Welt: „Von euren Maschinen, Flugzeugen und Gesetzen geht nicht die geringste Empfindung aus.“
William Kentridge gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Widersprüchlichkeiten prallen aufeinander und werden in dem für Kentridge typischen Mix künstlerischer Ausdrucksweisen von bildender, darstellender und tönender Kunst überhöht. Schroff und bedrohlich manchmal, dann eher verspielt und ironisch.
Die Hintergrundprojektionen geraten in Bewegung, Metallene Kaffeekannen sind allgegenwärtig, als Masken und in cartoonartigen Zeichnungen. Diese Kaffeekannen-Menschen stehen für bornierte Europäer. Die Bildwelten von Kentridge, seiner Bühnenbildnerin Sabine Theunissen und der Kostümbildnerin Greta Goiris stecken voller Metaphern.
Und immer die Kraft der Musik von dem Südafrikaner Nhlanhla Mahlangu, der die europäische Avantgarde genau so gut kennt und nutzt wie die Ethno-Musik seiner Heimat. Die kann hinüberkippen zu Schubert-Zitaten und weiterfließen in Rumba- und Samba-Klänge, und dass ist dann ein starkes Überlebenszeichen fürs Indigene. Gerechtigkeit für people of colour ganz ohne Rechthaberei aus weißer Perspektive.
Diese wird immer wieder kritisch aufs Korn genommen, wenn sich die Jünger und Jüngerinnen der Négritude allzu sehr ins Zeug legen. André Breton begegnet uns gleich zwei Mal in unterschiedlichen Lebensaltern. Seine Klugscheisserei über das Surreale wird karikiert und relativiert mit lebensvollen Rumba-Rhythmen. Ein schöner anti-europäischer Satz: „Die Anzüge dachten nicht, dass ihre Körper so schnell verschwinden.“ Und a propos verschwinden, Charons mahnt eindringlich: „Liebe kein Land, Länder verschwinden bald.“
„The Great Yes, The Great No“ wurde im Rahmen einer Residency des Centre for the Less Good Idea, Johannesburg und der Zürcher LUMA Foundation entwickelt, zur Premiere kam es beim Festival d’Aix-en-Provence. Mit verdientem Jubel hat das Impulstanz-Publikum die Österreichische Aufführung im Burgtheater aufgenommen.