asdf
 

Alle Lust will Ewigkeit, nicht Erstarrung

WIENER STAATSOPER / DON GIOVANNI

06/12/21 Orgiastischer Farbrausch. Starrender Fels. Flirrender Freiflug im Continuo. Romantische Tatkraft im Tutti: Zwei Jahrhundert-Don Giovannis in einem halben Jahr – Salzburger Festspiele und Wiener Staatsoper – zeigen beeindruckend, dass der Verführer, Spötter, Macho oder Wüstling von Sevilla viel mehr ist, als nur der nächste Kandidat vor dem #MeToo-Tribunal.

Von Heidemarie Klabacher

Staatsopernbesuch also. In Lagerfeld'scher Jogginghose vor dem Computer mit Stöpsel im Ohr und live via play.wiener-staatsoper.at. Die Herangehensweise von Philippe Jordan am Pult des Staatsopernorchesters darf unter diesen Bedingungen als „klang- und kraftvoll“ zusammengefasst werden. Aufhorchen ließen ein gelegentlich recht symphonisch daherkommendes Tutti, mit handfestem Vibrato gespielte Passagen des Solocello und – natürlich purer Genuss – die einzelnen Bläser-Soli. Für eine begründete Einschätzung hängt zu viel an der Technik und an der Qualität der „Endgeräte“. Glasklar angekommen sind jedenfalls die Tonspuren der Sängerinnen und Sänger. Sie haben auf Basis der von Philippe Jordan vorgegebenen organischen Tempi in jeder Partie ein Stück richtungsweisender Aufführungsgeschichte geschrieben.

„Starrender Fels / mein Aufenthalt“, heißt es im Schubert-Lied und gilt hier für eine ganze Mozart-Oper: Felswüste. Erstarrtes Urgestein. Basaltsäulen (eher nicht sind es überdimensionale Kristalle) bilden die Spielstätte. Gesteinsbrocken, Steine und Steinchen sind die Requisiten. „Der Steinerne Gast“ wird von der Ausstatterin Katrin Lea Tag reduziert auf einen etwa faustgroßen Stein, mit dem sich – Don Giovanni und Leporello sind gegen Schluss ein wenig high und also recht gut drauf – gut kichernd Spott treiben lässt: Die erschreckendste, wüsteste, „gottloseste“ Einladungs-Szene doch schon vieler erlebter Inszenierungen.

In bizarrem Kontrast zur Felslandschaft stehen die fließenden Blumen-Kleider der Damen – fein bestickt, reich blühend. Betörend schöne Hüllen. Von wegen blühen. Einmal sprießen Pflanzen auf dem Felsplateau, bilden ein Wäldchen vor Don Giovannis Schloss. Bei genauerem Hinsehen sind es nicht Bäume, sondern überdimensionale Gräser. Damit werden die Menschen darunter zu Insekten...

Nicht nur die Ausstatterin Katrin Lea Tag, auch Regisseur Barrie Kosky ist gnadenlos. Das Ganze ist nicht einmal „postapokalyptisch“, die Figuren sind keine Zombies, keine Wiedergänger. Es sind in ihren Rollen erstarrte Figuren, erstarrt wie einst das Gestein irgendwann nach Abschluss der Erdbildung. Welch zerstörerische Kräfte im Inneren noch immer wirken, demonstriert der Regisseur etwa mit Hilfe der grandiosen Hanna-Elisabeth Müller als Donna Anna: Sie liefert vom ersten Moment an, ohne jede Übertreibung, das Bild einer psychisch Kranken. Anhand dieser Darstellung könnte vermutlich jeder Arzt eine genaue Diagnose liefern.

Sängerisch wird Hanna-Elisabeth Müllers brillante Leistung noch übertroffen von der Kate Lindseys, die als Donna Elvira bei aller Verletzlichkeit als einzige Zeichen psychischer Unversehrtheit aufweist. Das ist endlich einmal keine Zicke von einer Donna Elvira, die herumseiert und geheiratet werden will, das ist eine Liebende, die den am Rande des Vulkans tanzenden Idioten einfach retten will. Und vielleicht nicht mal für sich selbst, dazu ist diese Elvira wohl zu schlau: Ein bewegendes Rollenbild. Die sängerische Leistung von Kate Lindsey – spielerische Leichtigkeit in der Stimme gepaart mit emotionaler Hochgespanntheit – ist ohnehin so, dass man jede künftige Besetzung an dieser Vorgabe messen wird. Das gilt ebenso für den Don Giovanni von Kyle Ketelsen und den Leporello von Philippe Sly, die miteinander spielen und singen und herumblödeln, als hätte nicht irgend ein Mozart recht anspruchsvolle Gesangspartien dazu geschrieben.

Don Ottavio ist meist der Deschek der Oper, nicht nur wegen Donna Anna, sondern auch wegen der vielen hohen und meist schmachtend leise zu singenden Töne seiner undankbaren Frauen-Versteher-Rolle: Stanislas de Barbeyrac kommt den Erwartungen nicht nur so nahe, wie selten ein Tenor, immer wieder erfüllt er diese bis zur puren Freude am Zuhören. Ein standfester Komtur ist Ain Anger. Ein elegantes niederes Paar sind Patricia Nolz und Peter Kellner als Zerlina und Masetto.

Bilder: Stills aus der Übertragung
Don Giovanni in der Wiener Staatsoper – noch sechs Tage nachzuholen auf tvthek.orf.at

 

 

 

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014