Aschenbrödel und Demimonde-Prinz
BÜHNE BADEN / EVA
09/09/21 Mit „Eva“ stand - wie schon im Vorjahr mit „Die blaue Mazur“ - eine weitere Operetten-Rarität Franz Lehárs auf dem Programm der Sommerarena in Baden bei Wien. Intendant Michael Lakner das Stück erfolgreich bearbeitet und inszeniert.
Von Gottfried Franz Kasparek
„Eva“ wurde 1911 im Theater an der Wien uraufgeführt. Ist es bloßer Zufall, dass die Librettisten Willner & Bodanzky ihrem tenoralen Helden Octave den Zunamen Flaubert verliehen haben? Gustave Flauberts Sittenbild aus dem Paris der Zeit um 1848, „L'éducation sentimentale“, war 1904 in Berlin als „Roman eines jungen Mannes“ endlich in kompletter deutscher Übersetzung erschienen. Spätere Ausgaben titelten „Die Erziehung des Herzens“, was eigentlich eine typisch deutsche Verkitschung des augenzwinkernd gemeinten französischen Titels ist. Der Operetten-Flaubert, ein nicht mehr ganz junger Fabrikserbe aus der Provinz, wurde in der Pariser Halbwelt sozialisiert und trägt durchaus Züge von Flauberts „Helden“ Frédéric. Auch an Einschlägiges von Balzac, Zola und Maupassant darf man denken, denn die Demimonde lebte ein ganzes Jahrhundert und darüber hinaus lebhaft weiter.
Flauberts lapidare, doch ergreifende Sozialkritik fand in der für die Entstehungszeit mutig konzipierten Operette ihren Widerhall in einem regelrechten Arbeiteraufstand. Octave, der seine Firma mehr als Spielzeug versteht, verliebt sich in das hübsche Ziehkind des Werksführers Larousse, nennt diese Eva sein „Aschenbrödel“ und staffiert sie als Gesellschaftsdame aus. Die Arbeiter wollen sie befreien, doch der im Grunde gutmütige Ocatve erklärt sie zu seiner Braut. Dies passt perfekt ins Finale des zweiten Aktes. Dazu gehört natürlich auch ein Zerwürfnis der Liebenden. Nach dem Abzug der Arbeiter will Ocatve Eva nicht mehr heiraten, sondern als Mätresse installieren – soweit das Original. Sie verlässt ihn, zieht mit der koketten Pipsi nach Paris, wird selber eine zweifelhafte Dame – und erhört im dritten Finale den wiedergekehrten Liebhaber.
Leider ist dieser dritte Akt trotz einiger wunderbarer Musiknummern dramaturgisch eher verunglückt, was Michael Lakner nun dazu bewogen hat, das Stück mit dem zweiten Akt und einer Märchenheirat enden zu lassen. Dies geschah mit akkurater Personenführung sowie einer gelungenen Mischung aus Schwank, Zeitstück und Aschenbrödel-Poesie. Da die Musik dazu fast ungekürzt erklingt, sind die Sprechszenen nicht allzu lang. Am Ende siegen gleichsam die Arbeiter mit Eva an der Spitze und Octave wollen wir eine gelingende Läuterung vom leichtlebigen Bonvivant zum seriösen Familien- und Fabriksvater wünschen.
Das Atout der Aufführung heißt Sieglinde Feldhofer. Sie ist wohl die führende junge Operettendarstellerin unserer Zeit, weil sie mit leuchtkräftigem, herrlich lyrischem Opernsopran und ehrlicher Emotion singt und spielt, ohne den Pep des Genres zu übersehen. Ihre Eva ist absolut glaubwürdig als zwischen Standesstolz und Sehnsucht nach der „großen Welt“ pendelnde junge Frau, die dem Charme Octaves von der ersten Begegnung an verfällt, aber durchaus widerspenstig bleibt, ehe sie ihm endgültig in die Arme sinkt. Auf ihre Clivia und ihre „Verkaufte Braut“- Marie darf man diese Saison in Graz gespannt sein.
Reinhard Alessandri war schon 2005 in Bad Ischl Octave – er scheint optisch nicht zu altern, hat nach wie vor einen passenden, persönlich gefärbten „Baritenor“ und stellt die Figur des saloppen Beau mit Herz perfekt dar. Das Buffopaar ist eigentlich ein Buffotrio, denn die schillernde Pipsi (Claudia Goebl, eine temperamentvolle Soubrette mit Stimme) spielt mit gleich zwei Männern, dem Dandy Dagobert (baumlang, komisch und prägnant: Alexander Kröner) und dem nur oberflächlich braven Buchhalter Prunelles (Thomas Zisterer, noch ein seit Ischl 2005 jung Gebliebener und ein gestandener Charakterdarsteller).
Der väterliche Larousse erhält von Franz Födinger mitunter rührendes Format. Die kleinen Rollen, Arbeitende und Feiernde, sind typengerecht aus dem famosen, auch tanzenden Chor besetzt. Choreinstudierung (Christoph Huber), Choreographie (Anna Vita) und Ausstattung (stilgerecht und ohne falsche Gags: Dietmar Solt) leisten Bestes.
Im Graben waltete – Es war leider schon die gefeierte Derniere, die ich am 2. September noch erleben durfte – Badens Musikdirektor Franz Josef Breznik und sorgt für eine werkgerechte Umsetzung der über weite Strecken opernhaften Partitur, die nahezu leitmotivisch durchwoben ist und mit oft sensibel melancholischer Melodik begeistert - „und wär es auch nichts als ein Augenblick“, wie Eva träumt. Breznik hat aber auch eine gute Hand für flotte Buffonummern. Das Badener Orchester läuft zur Höchstform auf. Streicher, Schlagzeug und Celesta besiedeln den Graben, die Bläser mit vielen schönen Soli die Orchesterlogen. Was, wenn man in der dritten Reihe sitzt, zu interessanten Klangeffekten führt, die in ihrer schwebenden Transparenz an Schreker und Korngold denken lassen. Conclusio: „Eva“, sei es in Lakners geglückter Kurz- oder in der ebenfalls spannend bleibenden Originalversion, ist eine Empfehlung an Dramaturgen, die über den Tellerrand des Kernrepertoires schauen wollen.
Bilder: Bühne Baden / Christian Husar
Die aktuelle Spielzeit der Bühne Baden - www.buehnebaden.at
Zu Eva eine CD-Empfehlung: Die 2005 auch schon vom verdienstvollen Lehár-Liebhaber Lakner verantwortete Ischler Aufführung der Originalfassung, u.a. mit Morenike Fadayomi und Reinhard Alessandri, dirigiert von Wolfgang Bozic, ist bei cpo erhältlich und sehr hörenswert.