Wehe, wenn Venus eifersüchtig wird!
STYRIARTE / OPER / AMOR UND PSYCHE
01/07/21 Krisenstimmung im Hause Venus. Jene Göttin, die sich (zumindest in diesem Opernlibretto) ausschließlich über ihre Schönheit definiert, muss erkennen, dass nicht mehr sie, sondern Psyche ob ihrer äußeren Reize allseits bewundert wird. Die Göttin zieht gegenüber einer Sterblichen den Kürzeren.
Was obendrein in Venus' Seele nagt: Ihr Sohn Amor, eigentlich für die Herbeischaffung von Liebhabern zuständig, vergisst auf seine ureigene Berufung und verliebt sich ausgerechnet in Psyche. Merkurs Ablenkungs- und Schlichtungsversuche bleiben unbedankt. Zwischen Amor und Psyche läuft's aber auch nicht rund. Die Sterbliche sollte das Gesicht des Liebhabers aus der anderen, der göttlichen, Gesellschaftsschicht nicht sehen. Solche Geheimniskrämerei hat sich bei Lohengrin und Elsa nicht bewährt und war schon viel früher, in der griechischen Mythologie, fatal. Psyche sucht den Liebhaber im Gemach auf, um einen Blick auf das Gesicht des Schlafenden zu werfen. Amor ist so umwerfend schön, dass die junge Dame unkonzentriert mit dem Licht umgeht und Amors Federkleid Feuer fängt. Nachhaltiger Missmut seinerseits ist verständlich.
Jahr für Jahr nimmt sich die Styriarte in Graz einer Oper von Johann Juseph Fux an. Das Material wird so schnell nicht ausgehen. Heuer war Psiche dran. Luxus am Wiener Kaiserhof anno 1720: Zum Namenstag der Kaiserin Maria Christine (Mutter von Kaiserin Maria Theresia) ließ deren Gemahl Karl VI. seinen Hofkapellmeister Fux eigens eine Huldigungsoper schreiben. Für nur eine einzige Aufführung. Weil Fux an Gicht litt und in Krankenstand ging, hat Antonio Caldara das als Componimento da camera per musica bezeichnete Stück fertig gemacht.
An ein solches Werk wurden damals in Wien ganz andere Maßstäbe gelegt als sonst überall im Bereich der Oper. Fux/Caldara waren nicht auf Publikums-Fang aus. Ihr Auftraggeber war (nach Joseph I. und Leopold I.) der dritte österreichische Kaiser in Folge mit außerordentlicher Musik-, insbesondere Kompositions-Kompetenz. Ums Musikverständnis des höfischen Umfelds stand es nicht schlechter. Sprich: Da schrieben Fachleute für ihresgleichen, und es findet sich in ihrer Musik manch „Kompositions-Wissenschaft“, die beispielsweise auf einer venezianischen oder neapolitanischen Opernbühne an den Ohren des Publikums glatt vorbeigezogen wäre.
Fürs Fux-Opern-Langzeitprojekt hat man bei der Styriarte verlässlichen musikalische Stützen, Der Oboist Alfredo Bernardini dirigiert sein Zefiro-Barockorchester. Man lenkte auch in der Freiluft-Aufführung (Psiche wurde im Hof des Schlosses Eggenberg gegeben) die Ohren der Zuhörer auf all die großen und kleinen Besonderheiten der Partitur. Die Nacht-Szene im Schlafgemach des Amor ist ein kompositorisches Kabinettstück, das allein die Wiedererweckung lohnte. In all den Wiener Opern dieser Epoche kommt mindestens eine Arie mit Begleitung des von den komponierenden Habsburger-Kaisern besonders geliebten Chalumeau vor (einer Klarinetten-Frühform). Hier apart abgemischt mit Traversflöte. Arie um Arie wird die ganze Bandbreite an Emotionen durchgespielt – Zorn, Eifersucht, Frust, viel gekränkte Eitelkeit auf Seiten der Venus (Carlotta Colombo) und wachsendes Selbstbewusstsein und reuiges Liebesleid mit Selbstmordgedanken auf Seiten von Psyche (Monica Piccinini). Nicht nur von den beiden Sopranistinnen war Bestechendes zu vernehmen, als Amor brillierte der Sopranist Raffaele Pe.
Anders als in so mancher Barockoper hat das Psiche-Libretto auffallende Qualitäten. Textdichter Apostolo Zeno hat nicht nur die Eifersüchteleien der Venus griffig beschrieben, sondern überhaupt menschliche Schwächen lustvoll aufs Korn genommen. Liebe setzt den Verstand außer Kraft, das gilt für alle Beteiligten. „Jetzt ist nicht Zeit für Argumente, sondern nur für Rache“, sagt Venus. Wie sie bald drauf den Pubertäts-Trotzkopf Amor Mores lehrt, bot dem Komponisten seinerseits beste Optionen für Stimmungsmalerei.
Dieser immanenten psychologischen Tiefenschärfe des Stücks ist die Grazer Inszenierung durch Adrian Schvarzstein nur bedingt gerecht geworden. Da reicht's nicht, die Protagonisten in kunterbunt-üppige Kostüme zu stecken und mit einem Mond und Wölkchen an Stangen herumzugehen. Dass im Spiel der Hände und Finger damals viel Bedeutung lag, hat der Regisseur wohl wo aufgeschnappt – aber es ist dann doch ein Theater heftigen Händeringens herausgekommen. Gerade aus einem Stück mit so viel allgemeingültiger Charakterzeichnung könnte man durch ein Herholen ins Heute viel Reizvolles abgewinnen. Psiche ist keine Oper aus dem Museum.
A propos: An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gibt es eine „Arbeitsstelle der Fux-Gesamtausgabe“ und dort wurden die Aufführungsmaterialien aufbereitet. Sie werden in der Online-Reihe „Fux concertato“ als open access publiziert werden. Die nächste Aufführung sollte also nicht wieder dreihundert Jahre auf sich warten lassen.