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Unverstanden vom Callcenter

GRAZ / FLÜSTERN IN STEHENDEN ZÜGEN

15/06/21 „Adam“ heißt er natürlich nicht wirklich, der virtuelle spanische Amigo. Unter dem Namen meldet er sich bloß unter der im Phishing-Mail angegebenen Telefonnummer. Der Bursche könnte zum Freund taugen. Man kann mit ihm sogar ein paar persönliche Wörte reden. Übers Wetter. Oder über die nervige Weihnachtsbeleuchtung.

von Reinhard Kriechbaum

Aber „Adam“ ist die Ausnahme, bleibt Episode für „C“, den Protagonisten im neuen Bühnenstück des Grazer Autors Clemens J. Setz Flüstern in stehenden Zügen, kürzlich uraufgeführt im Grazer Schauspielhaus. Dieser „C“, im tristen Alltag Computer-Reparierer, hat ein eigenartiges Hobby: Er steigt vermeintlich ein auf die Phishing-Mails, die sich im Mailfach häufen. Er ruft wirklich an, immer und immer wieder, tage- und nächtelang. Aber er denkt natürlich nicht daran, irgendwelche Kundennummern, Passwörter oder gar die Kontonummer herauszurücken.

Er entwickelt eigenartigen Ehrgeiz, die Leute in den Callcentern in persönliche Gespräche zu verwickeln. Sie auszuhebeln aus den eingelernten Gesprächsroutinen. Vielleicht ist es ja für „C“ auch gar kein Hobby. Vielleicht ist es pure Besessenheit eines Robin Hood im Feldzug gegen Spam-Verursacher. Oder Bosheit den unbekannten Menschen gegenüber. Im Lauf der anderthalb Stunden kristallisiert sich immer deutlicher heraus – es ist Einsamkeit.

Vielleicht sucht „C“ wirklich nur jemanden zum Reden, weil da sonst keiner ist im echten, kärglichen Leben. Das Reden klappt natürlich nicht. Meistens legen die Unbekannten am anderen Ende der Leitung auf, früher oder später. Der eingangs erwähnte „Adam“ ist eine der wenigen Ausnahmen.

Der Stücktitel Flüstern in stehenden Zügen? Auch nur Episode in einem dieser vielen, vielen verqueren Telefonkontakte. Aber als Metapher nicht unpassend, weil „C“ selbst ja auch leise, zurückhaltend wird, wenn quasi das Alltagsrauschen plötzlich weg ist. Wenn am anderen Ende der Leitung jemand ein wenig anders reagiert, als es das Geschäftsmodell vorsieht. Ein Psychogramm also, wortreich entwickelt zwischen „C“ und vielen Stimmen aus dem Off. Raphael Muff ist der Sportsfreund ohne Freunde, der sich so quirlig gibt und doch nur als Single den Ball päppelt oder sich Boxhandschuhe überstreift zum Telefon-Fight.

Regisseurin Anja Michaela Wohlfahrt und ihre Ausstatterin Teresa Joham haben drei Wohnzimmer auf die Kammerspiel-Fläche im Haus zwei des Grazer Schauspielhauses gestellt, Variationen derselben weißen Regalwand mit Schlaf-Schubfach aus dem Billig-Möbelhaus. Vor und mit der anderen lebt die „Kundin“ (Evamaria Salcher), auch so ein kontaktarmes Mauerblümchen. Im Wohnzimmer drei logiert der Musiker Grilli Pollheimer, der die Episoden mit Marimba und Elektronik ein wenig strukturiert.

So werden wir von der Regie mit der Nase drauf gestoßen, dass die Vereinsamung von „C“ kein Einzelfall ist in unserer Gesellschaft. In den immer gleichen Handlungen und Gesten wird deutlich, dass diese Single-Haushalten ein gewisses Zootier-Verhalten befördern. Franz Solar macht die Telefonstimmen (allerlei Dialekte und fremdländischer, vor allem osteuropäischer Zungenschlag), und er hat einmal einen Soloauftritt als Callcenter-Boss. Da übt er mit dem Publikum ein paar Stehsätze ein. Nicht nötig, man verstünde die Problematik auch so.

Ach ja, wie geht die Sache aus? Die „Kundin“ bringt „C“ ihren Laptop vorbei. Und da öffnen sich – weitgehend wortlos – prompt zwei einsame Herzen. Private Begegnung (noch) nicht, aber ein echtes Telefongespräch mit jemandem, dessen Gesicht man schon mal gesehen hat. Das ist am Ende ja schon mal ein vielversprechender Anfang.

Weitere Aufführungen im Rahmen des Internationalen Dramatiker*innen Festivals am 16. und 19. Juni im Schauspielhaus Graz, Haus Zwei – www.schauspielhaus-graz.at
Bilder: Bühnen Graz / Lex Karelly

 

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