Von betenden und sprechenden Händen
ALBERTINA / ALBRECHT DÜRER
23/12/19 Einen Tag vor Heiligabend darf man schon auf ein Bildchen hinweisen, das in der Albrecht Dürer gewidmeten Ausstellung in der Wiener Albertina natürlich nicht im Zentrum steht: ein pastelliger Jesusknabe, gerade handspannengroß. Das braune Ding, das der goldlockige Knabe in Händen hält, ist kein Fetzenlaberl, sondern die Weltkugel.
Von Reinhard Kriechbaum
1493, während seiner Wanderjahre, hat Dürer (1471-1528) das kleine Bild auf Papier geworfen. Vielleicht war es als Weihnachtsgrußkarte gemeint (das gab es damals schon), vielleicht hegte Dürer aber schon den Hintergedanken, das Blatt für sich aufzuheben. Solche Studien hat Dürer in Menge behalten. Sie bildeten jenen Werkstattfundus, aus dem er zeitlebens schöpfte. Tier- und Pflanzenstudien, Faltenwürfe von Gewändern, Gesichts- und andere Körperstudien... Das Dürer-Konvolut der Albertina, rund 140 Zeichnungen, stammt aus diesem persönlichen Fundus. Es ist seit dem 16. Jahrhundert geschlossen erhalten. Dürer war sein eigener Ausstellungskurator, heißt es in der Ausstellung kokett. Der Feldhase ist hochberühmt – aber wie viele anderen Tiere (auch Hasen) tummeln sich da! Und die Betenden Hände, so ikonenhaft sie sein mögen, sind nur eines von gleich ein paar Dutzend spektakulären Handstudien. In einem ganz wundervollen Ölgemälde – Jesus unter den Schriftgelehrten – könnte man einen künstlerischen Gipfelpunkt in der Komposition solch „sprechender“ Hände sehen.
Aber bleiben wir am Beginn der Schau, dort wo der Jesusknabe hängt. In derselben Reihe Dürers Selbstbildnis als Dreizehnjähriger. Die Silberstiftzeichnung von 1484 ist die früheste erhaltene Kinderzeichnung überhaupt. Fünfzehn Jahre später entstand das Selbstbildnis als Akt (das hat man für die Albertina-Schau aus Weimar entlehnt).Angesichts dieser hoch expressiven Körperstudie ist es überhaupt nicht abwegig, an Schiele zu denken. So Dürer das Blatt überhaupt hergezeigt hat, müssen seine Zeitgenossen perplex gewesen sein. Was für ein kontrast zu jener lieblichen Federzeichnung, die eine in Gedanken versunkene junge Frau zeigt: Mein Agnes (1494) – der Blick des verliebten jungen Mannes auf seine künftige Ehefrau.
Man könnte zehn Mal durch diese opulente Schau der – vorwiegend – Kleinformate gehen und sich jedes Mal auf ein anderes Ding konzentrieren: Die Tiere sind allemal ein Thema. Um die diversen Heiligen Familien und Marien-mit-Kind auseinander zu halten, haben die Nachgeborenen den Blättern so hübsche Attribute gegeben wie mit Libelle, mit den Hasen oder mit den vielen Tieren.
Dürer als Geschäftsmann wäre ein ganz unkünstlerischer Zugang zur Schau: Er war sich seines Marktwertes wohl bewusst und hat so manche Radier- oder Holzschnittfolge – man denke an den Zyklus zur Apokalypse – ganz gezielt für die Zielgruppe humanistisch gebildeter Zeitgenossen geschaffen. Seither sammelt man Druckgraphik, Dürer darf als Stammvater dieses Sammlungszweiges gelten. Kaiser Maximilian I., der Dürer so sehr schätzte, wollte ihn als Künstler ganz in seinen Diensten haben und suchte ihn von den Verpflichtungen gegenüber den Nürnberger Stadtvätern loszueisen. Dabei holte sich der Kaiser freilich kalte Füße. Nach Maximilians Tod (1519) hat Dürer für sich eine kaiserliche Pension in fürstlicher Höhe (100 Gulden pro Jahr) ausverhandelt. So konnte er auf längere Zeit in die Niederlande reisen, sich dort hofieren lassen und mit der Welt von Geist und Kunst (unter anderem mit Erasmus von Rotterdam) auf Augenhöhe verkehren.
Für österreichische Ausstellungsbesucher sind natürlich die Innsbruck-Veduten ein Blickfang. Dort kam Dürer 1495 vorbei, auf seiner ersten Italienreise. Kaum einen Künstler dürfte die Tiroler Bergwelt so kalt gelassen haben wie den Künstler-Humanisten aus Nürnberg. Die menschengeschaffenen Mauern, Türme und Dächer Innsbrucks sprachen ihn sichtlich mehr an als der Patscherkofel, der im berümten Blick über den Inn (der wie ein See und nicht wie ein Gebirgsfluss wirkt) nur ein ganz unbedeutender Statist im Hintergrund ist. Damit ist man bei einer weiteren Eigenart vieler Arbeiten Dürers, egal ob Städtebild, Landschaft oder Figurenszene: Mit der Akribie eines Renaissancemenschen ist die Realität geradezu pingelig in Einzelheiten festgehalten, und doch jeweils in eine Komposition eingefügt, die ganz dem Ausdruckswillen, der Botschaft untergeordnet ist.
Aus Dürers Blättern ist ganz viel Sozial- und Kulturgeschichtliches heraus zu lesen, man nehme nur das Männer- und das Frauenbad. Bei den Männern ging's, auch ohne Frauen, lustig zu, mit Musik und Trank. Bei den Frauen ist die Körperreinigung das Thema. Im übrigen dienten Dürer beide Motive vor allem als Thema für raffinierte Aktstudien.
Weil Weihnachten vor der Tür steht, noch ein Blick auf eine Marginalie: Da scheint in einer ganz luftigen Aquarell/Federzeichnung einer Madonna mit Kind und musizierenden Engeln die Krippen-Fauna ordentlich durcheinander geraten zu sein. Statt Ochs und Esel ein Löwe und ein Wildschwein-Eber! Es sind Attribute zweier nachgeborener Besucher an der Krippe, vom heiligen Hieronymus und von Antonius dem Großen.